Kelly Barnhill: When Woman were Dragons - Unterdrückt. Entfesselt. Wiedergeboren (Buch)

Kelly Barnhill
When Woman were Dragons - Unterdrückt. Entfesselt. Wiedergeboren
(When Women were Dragons, 2022)
Übersetzung: Isabelle Gore
Cross Cult, 2024, Paperback, 486 Seiten, 18,00 EUR

Rezension von Christel Scheja

Die amerikanische Autorin Kelly Barnhill hat zunächst Jugendromane geschrieben, ist dann aber durch die Zeugenaussage einer mutigen Frau dazu inspiriert worden, „When Woman were Dragons“ zu schreiben, einer zunächst phantastisch anmutenden Geschichte, die allegorisch gesehen aber aktueller ist als je zuvor.


Alexandra Green wächst in den 1950er Jahren auf, in denen die alte Ordnung nach dem Krieg wieder hergestellt worden ist und Frauen auf ihren Platz verwiesen hat. 1955 aber erschüttert ein Vorfall die USA, denn innerhalb eines Tages werden Hunderttausende von Frauen in Drachen verwandelt und fliegen in einer feurigen Zerstörungswelle davon.

Auch wenn die Männer und die Behörden den Vorfall vertuschen und aus der Erinnerung der Menschen auszulöschen versuchen, bleiben Fragen in dem Mädchen, die auch Strafen und Indoktrination nicht auszulöschen vermögen, vor allem, als sie schon früh dazu gezwungen wird, nach dem Tod der Mutter auf eigenen Beinen zu stehen. Und sie bleibt damit nicht allein, denn das Schweigen führt zu immer größeren Spannungen.


Die Heldin wird in eine vermeintlich heile Welt hineingeboren, in der sich Frauen, selbst wenn sie hochbegabt sind, in ihre Rollen als Hausfrau und Mutter fügen. Doch schon als kleines Kind lernt sie durch ihre Tante Martha ein anderes Rollenmodell kennen und bewahrt sich so ihre Fragen und ihren rebellischen Geist, den sie in den kommenden Jahren auch brauchen wird.

Interessant, ja fast typisch ist das Verhalten der Obrigkeit und der Männer, als dann die spontane Verwandlung von Frauen einen ganzen Staat durcheinanderwirbelt, denn immerhin passt es nicht wirklich in das Weltbild, in dem die Frauen still und brav zu bleiben haben und die Männer sich alles erlauben können.

Aber dennoch brodelt es unter der Oberfläche, denn es gibt genug Leute, die sich damit auch weiter beschäftigen und herausfinden, dass das Drachenwandeln mitnichten eine einmalige Sache ist, sondern immer wieder geschieht - allerdings haben Geschichtsschreiber das seit der Antike tunlichst verschwiegen und selbst Mythen umgeschrieben.

Im Roman verwandeln sich die Frauen vielleicht in Drachen, die nun endlich die Kraft haben, sich zu wehren und ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sie stehen aber auch für diejenigen, die aus den altbekannten Rollenmustern ausbrechen und das tun, was ihnen wirklich liegt, auch wenn sie in der Anfangszeit noch ein wenig damit hadern.

Der Leser darf dies aus der Sicht von Alex miterleben, die allein durch ihre mathematische Hochbegabung aus dem Rahmen fällt und ebenfalls nicht bereit ist, sich den Wünschen ihres Vaters zu fügen. Immerhin bewegen sich in ihrem Umfeld auch Menschen, die das fördern und sie nicht den gleichen Fehler wie ihre Mutter begehen lassen.

Eindringlich, manchmal ein wenig überzeichnet, aber mehr als treffend, beschreibt die Autorin eine Gesellschaft, die die Fähigkeiten von Frauen gerne unterdrückt und sie in bestimmte Rollen zwingt, dann aber doch nicht verhindern kann, dass diese ausbrechen. Die Geschichte mag phantastisch sein, spielt aber auch zynisch auf Trends an, die sich in der Welt gerade wieder breitmachen. Und wird schließlich zu einer lebendigen Utopie, in der die Frauen füreinander einstehen und ihre Fähigkeiten verbinden, um der Gesellschaft zu zeigen, dass sie selbst in Drachengestalt weitaus mehr erreichen können als Männer es ihnen zutrauen.

Die Handlung selbst verläuft weitestgehend ruhig und beschreibt den Alltag von Alex, die die Ereignisse von 1955 eher am Rande erlebt, aber umso mehr in den folgenden Jahren zu spüren bekommt, welche Auswirkungen das auf die Gesellschaft hat. Daher sollte man nicht allzu viel Action erwarten, denn die wird eher erzählt und nur in wenigen Fällen gezeigt.

Die Geschichte selbst macht jedoch Frauen Mut, wenn man bereit dazu ist, mehr über den Inhalt nachzudenken und die Botschaften in den phantastischen Elementen zu erkennen. Denn Mut und Solidarität unter den Frauen ist genauso wichtig, wie die Bereitschaft, zusammen mit den Männern einen neuen Weg für die Welt zu finden.

„When Women were Dragons“ mag auf den ersten Blick wie einfache Fantasy wirken, ist aber tatsächlich eine spannende Utopie, die ein interessantes Bild der (amerikanischen) Gesellschaft seit den 1950ern zeichnet, mit all den Bemühungen, gewisse Dinge unter den Tisch zu kehren. Unaufdringlich, lebensnah und warmherzig verpackt die Autorin ihre Botschaften in eine Geschichte, die durchweg fair bleibt und doch jede Menge Denkanstöße bietet.