James Tiptree Jr.: Quintana Roo – Sämtliche Erzählungen 5 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 11. Januar 2011 21:21
James Triptree Jr.
Quintana Roo
Sämtliche Erzählungen 5
(Quintana Roo)
Aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Frank Böhmert
Septime, 2010, Hardcover, 158 Seiten, 18,40 EUR, ISBN 978-3-902711-04-5
Von Carsten Kuhr
Wer verbirgt sich hinter dem Pseudonym James Triptree Jr.? Eine Frage, auf die der in Wien beheimatete Septime Verlag endlich, und eigentlich längst überfällig, eine Antwort geben will. Schon vor einiger Zeit geisterte die Meldung durch die Medien, dass der engagierte Verlag eine fachkundig kommentierte Gesamtausgabe der Geschichten Triptrees plant. Nun, noch im Dezember erschien der erste der kleinoktaven Bände in gediegener Ausstattung. Sorgfältige Fadenheftung, natürlich mit Lesebändchen und festem Einband, dazu eine zum Inhalt passende Illustration auf dem Umschlag, machen auf den Inhalt neugierig. Die Autorin selbst führt uns dann in einem kurzen, informativen Vorwort in die Gegend ein, in der sie ihre drei Novellen angesiedelt hat.
Quintana Roo, an der langen Ostküste der mexikanischen Halbinsel Yukatán, gelegen ist zwar eine offizielle mexikanische Provinz, gehört aber geistig in eine andere, uns fremde Welt. Einmal abgesehen von der US-Touristenhochburg Cancun ist die Region fast unberührt, karg und urwüchsig, leben hier einsam und abgeschieden die Maya und einige ganz wenige Westler, zu denen eine Zeitlang auch die Autorin selbst gehörte. In diese uns so fremd erscheinende Welt, in der die Menschen anders, intensiver und bewusster zu leben scheinen, als wir mit all unseren hochtechnisierten Geräten um uns herum, hat die Autorin drei phantastische Erzählungen angesiedelt. Jede der Stories, die im „Magazine of Fantasy and SF“ beziehungsweise in Isaac Asimovs SF-Magazin erstveröffentlicht wurden, fußt zunächst ganz in der beschaulich wirkenden Realität.
Wir begegnen einsamen Fischern, Tauchern und Aussteigern, die sich weitab vom Kommerz und der Hektik ihr Leben beschaulich eingerichtet haben. Sie alle sind Westler, denen es mühsam und meist erst nach Jahren gelungen ist, von der einheimischen Bevölkerung akzeptiert zu werden. Und sie alle begegnen in ihren Berichten, während ihrer Wanderungen an der Küste oder beim Schnorcheln im Karibischen Meer etwas, das so nicht erklärbar scheint. Das sind keine fliegenden Untertassen, keine großköpfigen Aliens, nein, das sind Urgewalten, die lebendig werden, Gewalten, die durch Raum und Zeit greifen und Eindrücke hinterlassen. Sei es, dass das Meer selbst als Mann oder doch als Frau verkleidet Geschenke verteilt, dass K´ o, ein einheimischer Taucher, nicht nur das erste Mal überhaupt auf Wasserskiern von Cozumal nach Tulu´um fährt, und dabei der Maya-Hochburg Zama, der Stadt der Morgendämmerung, in all ihrer längst verlorenen Pracht begegnet, oder die Natur in ihrem durch den verantwortungslosen Umgang mit selbiger durch den Menschen verursachten Todeskampf zurückschlägt, immer geht es der Autorin darum aufzuzeigen, dass die uns umgebende Natur weit mehr für den Menschen bereithält, als nur einen Wohnraum und Bodenschätze, die wir uns gedankenlos aneignen.
Vehement spricht Triptree sich für ein Leben im Einklang mit der Natur und den Völkern aus, reichert diese durch den magischen Realismus an und beeindruckt durch ihre Intensität. Dass jede der drei Novellen preisgekrönt wurde sei nur am Rande erwähnt.
Abgeschlossen wird der Band durch ein informatives, aber auch feinfühliges Nachwort von Anne Koenen.
Man kann nur hoffen, dass die Neu- und Wiederentdeckung einer der bestechendsten Autorinnen der modernen Phantastik der wirtschaftliche Erfolg vergönnt ist, den sie verdient.