Volker Kutscher: Transatlantik - Der neunte Rath-Roman (Buch)

Volker Kutscher
Transatlantik
Der neunte Rath-Roman
Piper, 2022, Hardcover, 588 Seiten, 26,00 EUR

Rezension von Gunther Barnewald

Der vorliegende Roman ist der neunte und (so vom Autor angekündigt) wohl vorletzte Band um den Kölner Polizisten Gereon Rath, der im Berlin der 20er und 30er Jahre lebt und ermittelt und dabei oft von seiner Frau Charlotte, genannt Charly, unterstützt wird, und deren erster Band extrem erfolgreich als Serie unter dem Titel „Babylon Berlin“ verfilmt worden ist (wenn auch mit sehr starken Veränderungen, vor allem was die Charakterisierung der Hauptpersonen betrifft).


Man schreibt mittlerweile das Jahr 1937 (der erste Band unter dem Titel „Der nasse Fisch“ spielt 1929) und die Nazis sitzen in Deutschland fest im Sattel, bauen die Gesellschaft massiv nach ihrem Gutdünken um, und gehen dabei ausgiebig und skrupellos über Leichen.

Ab und an fällt jedoch auch der ein oder andere „Parteisoldat“ den Gewalttaten zum Opfer. So muss der in Wiesbaden untergetauchte Gereon Rath, nachdem er ausgerechnet dort die kaltblütige russische Gräfin Sorokina wieder getroffen hat, dafür sorgen, dass die Leichen zweier Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes (SD) verschwinden, nachdem die schöne Gräfin diesen den Garaus gemacht hat (bevor der eine seinerseits Hand an Rath legen konnte).

Da die Gräfin Geld hat, spendiert sie sich und Rath die Reise mit dem Zeppelin „Hindenburg“ in die USA. Es ist ausgerechnet jene legendäre letzte Reise des Luftschiffs, die in Lakehurst so tragisch enden wird.

Währenddessen wird die Leiche von Klaus von Rekowski in einer Berliner Parkgarage gefunden, erstickt an Abgasen. Das Garagentor wird vom Hausmeister verschlossen vorgefunden, obwohl das Tor nur außen ein Schloss hat. Damit ist klar, der Mann von der SS wurde ermordet. Zudem ist Charlys beste Freundin und Mitbewohnerin Greta Overbeck verschwunden, die mit von Rekowski, der im Pass-Amt arbeitete, liiert ist. Als Charly herausbekommt, dass Greta am Abend des Todes mit von Rekowski zusammen gewesen war, beginnt sie sich große Sorgen um Greta zu machen. Ist diese etwa auch tot? Oder hat sie etwa den Mann von der SS getötet?

Zudem versucht Charly vor Gericht zu erreichen, dass ihr ehemaliger Pflegesohn Fritze Tormann wieder aus der Psychiatrie entlassen wird, da ihm ein zweifelhaftes „rassisches Gutachten“ Minderwertigkeit bescheinigt hatte. Da der 16jährige mit seiner Freundin Hannah hatte fliehen wollen, die aber vorher ihren Vater und ihre anderen Peiniger getötet hatte und deshalb aktuell ebenfalls in der Psychiatrie verwahrt wird, wird auch Fritze für unzurechnungsfähig erklärt. Also hat Charly große Probleme, den Richter von etwas anderem zu überzeugen.

Zu dieser Zeit macht sich der Gangster Johann Marlow, der aus Deutschland in die USA geflohen ist, in New York breit und versucht dort eine neue, mächtige Gangster-Organisation aufzubauen. Gerne würde er sich an Gereon Rath rächen, wenn er diesem nur habhaft werden könnte. Zuerst hat er jedoch Probleme mit einer neuen Organisation, die ungewöhnlich reines Heroin an ihre (und damit auch seine) Kunden verkauft.

Doch Rath gilt ja als tot in Deutschland, wenn auch seine Leiche nie gefunden wurde, weshalb SS-Sturmbannführer Sebastian Tornow durch den SD eine landesweite Suche veranlasst hat. Nur wenige wissen, dass Rath noch lebt. Zumindest lebte, bis zur Reise mit der „Hindenburg“...


Der neunte Roman dieser wunderprächtigen Serie ist erneut Volker Kutscher vom Feinsten und meisterhaft erzählt, wirkt fast sogar etwas überkonstruiert mit den vielen Handlungsebenen. Aber mangelnde Ideen oder gar die Verbreitung von Langeweile kann man dem Autor so unmöglich vorwerfen. Andere Autoren entwerfen mit so vielen Ideen, Handlungselementen und Plots einen ganzen Zyklus (andere Autoren schreiben Tausende von Seiten auch ganz ohne Ideen voll!).

Der Spannungsbogen ist erneut sensationell entworfen, zu keiner Zeit will der Leser das Buch weglegen oder auch nur eine Lesepause einlegen. Die knapp 600 Seiten vergehen wie im Flug und sind, wie in der ganzen Serie üblich, viel zu schnell vorbei. Lesevergnügen pur!

Absolute Stärke des Autors ist, neben den lebendigen Charakteren, wieder die glaubhaft und authentisch wirkende Atmosphäre. Nie hat man das Gefühl, dass Kutscher lange und aufwendig recherchiert haben muss, eher glaubt man, der Mann stamme aus dieser Zeit und schreibe auch in genau jener, schaue nur aus dem Fenster, um die Gegebenheiten vor Ort beschreiben zu können. Und genauso geht es auch dem Leser, der bei der Lektüre manchmal irritiert aus dem Fenster schauen muss, um festzustellen, ob nicht ein alter DKW, Wanderer oder Opel Olympia gerade vor seinen Gardinen vorbeifährt und nicht doch irgendwelche Braunhemden durch die Gasse laufen.

Erfreulich ist auch, dass Kutscher nicht mit nervigen Cliffhangern arbeitet wie manche seiner Kollegen. Wenn spannende Szenen kommen, werden sie auch recht schnell wieder aufgegriffen und meist sogar direkt zu Ende geführt.

Einziger „Fehlgriff“ des Autors aus meiner Sicht ist der Fund von Fritze im Schreibtisch seines „Pflegevaters“, denn dessen hätte es gar nicht bedurft, kommt dieses Ekelpaket von HJ-Führer doch ehedem schon maximal abstoßend und widerwärtig rüber. Eine weitere „Dämonisierung“ erscheint hier einfach viel zu plakativ und übertrieben.

Ansonsten ist „Transatlantik“ ein geniales Buch, phantastisch ausgedacht und süperb erzählt, nahezu perfekt. Besser geht es nur noch in winzigen Details! Einziges weiteres Manko: Das Ende der Geschichte deutet auf einen eventuellen großen Showdown hin im letzten Band der Serie. Ich hoffe, dass der Autor es schafft, dem allzu Vorhersehbaren/Vorhersagbaren zu entgehen!

Auf den zehnten und letzten Band dieser Serie darf man trotzdem sehr gespannt sein; und auch darauf, ob Autor Volker Kutscher sein unglaublich hohes Niveau auch beim Ausklang der Serie noch einmal bewahren kann! Und ob es wirklich beim verkündeten Abschluss nach zehn Bänden bleibt?