Jack Cady: Inagehi (Buch)

Jack Cady
Inagehi

(Inagehi, 1994)
Übersetzung: Annette Charpentier
Titelbild: Ivan Shishkin
Wandler, Paperback, 326 Seiten, 17,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Hariette Johnson kehrt im August des Jahres 1957 in ihre alte Heimat in North Carolina zurück. Der Anlass für die Rückkehr ist kein schöner: Ihre Mutter ist verstorben, es gilt das Erbe anzutreten. 700 Morgen Land inklusive eines kleinen, gebirgigen Waldes gehören nun ihr.

Bereits sieben Jahre vorher starb ihr Vater, ein reinrassiger Cherokee. Sie dachte bislang immer, dass dieser an einem natürlichen Grund verstarb; kaum nach Winston-Salem zurückgekehrt, erfährt sie, dass ihr Vater ermordet wurde.

Und auch ihr begegnen so manche Bewohner mit Misstrauen, ja Ablehnung. Was passierte damals, vor sieben Jahren, warum wurde ihr Vater erstochen und wer war der Täter? Die Suche nach Antworten führt sie tief in die Mythologie der Cherokee, ja zur Schöpfung und den Göttern selbst.


Was ist das nur mit leisen Büchern? Bücher, die nicht auf große Schock- oder Show-Effekte setzen, rutschen viel zu oft durch, wenn es für die etablierten Verlage darum geht, die entsprechenden Rechte anzukaufen. In diesem Moment schlägt die Stunde der kleinen, inhabergeführten Verlagshäuser.

Vorliegender Roman ist ein sehr gutes Beispiel; obwohl er - immerhin auf der Auswahlliste für den Philip K. Dick Award stehend - eigentlich ins Visier der Großverlage hätte genommen werden können, ja sollen. Des einen Leid, des anderen Freud - in diesem Fall, Freud für den Wandler Verlag, der den Roman publizieren darf - und Freud für uns Leser!

Es gibt wenige Romane, die sich mit der indigenen Bevölkerung Nordamerikas beschäftigen. Vorliegend erwartet uns ein Roman, der auf den ersten Blick kein wirklicher Horror-Titel ist, noch nicht einmal ein Werk, das man gleich der dunklen Phantastik zuordnen würde, sondern die Geschichte einer Heimkunft, die Beschreibung einer Mord-Ermittlung und eine spirituelle Reise in die geistige Welt der Cherokee und des Glaubens.

Im Rahmen des Textes lernen wir nicht nur unsere Hauptfigur, die nicht die Erzählerin ist, näher kennen, behutsam entfaltet sich auch ihre Familiengeschichte vor unseren Augen.

Nach und nach, fast zögerlich, tastet sich die junge Frau an die ihr bis dahin unbekannten Vorgängige aus der Vergangenheit heran, macht sich auf die Suche nach Erkenntnissen. Auf sie warten Wahrheiten und Offenbarungen, die oftmals schwer zu akzeptieren sind, die sie schockieren, ihr Weltbild in Frage stellen und sie fast schon lähmen.

Nun sind Bücher Vieles. Sie können unterhalten, fesseln, schockieren oder den Leser zum Lachen bringen. Die besten Bücher schaffen es gar, dass sie uns bereichern, etwas mitgeben. „Inagehi“ ist ein solches Buch. Wir werden angehalten, uns mit dem Glauben, der Schöpfung, ja mit philosophisch-religiösen Überzeugungen auseinanderzusetzen. Als solches ist die Lektüre nicht nur Unterhaltung, sondern fordert den Rezipienten auch. Dabei erschließt sich einem eine unbekannte Welt; eine Kultur, die Vieles anders sieht, als wir es gewohnt sind, in der die Schöpfungsmacht, wie auch immer wir sie bezeichnen wollen, noch unter uns weilt, in der der Natur und allem Leben ganz anders begegnet wird, als wir das kennen. Beeindruckend!