Max Gladstone: Drei Viertel tot - Kunstwirker-Chronik 1 (Buch)

Max Gladstone
Drei Viertel tot
Kunstwirker-Chronik 1
(Three Parts Dead, 2012)
Übersetzung: Helga Parmiter
Titelbild: Chris McGrath
Panini, 2021, Paperback, 416 Seiten, 17,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Dreiundfünfzig Jahre ist es her, dass die Götterkriege die Welt, wie man sie damals kannte, zerstörte. Menschen mit besonderen Gaben, Kunstwerker genannt, bliesen zum Sturm auf die Götter, traten im Kampf gegen diese an und besiegten sie letztlich. Nur einer der Götter, ein Einziger, Kos der Feuergott der Stadt Alt Coulumb, hat den Krieg und die Schlachten überlebt. Seitdem versorgt er seine Gläubigen mit dem, was ein Feuergott so in petto hat - sprich Wärme, Dampf und Licht.

Dann aber ist der Gott plötzlich, unerwartet und skandalös einfach tot. Tot, wie in weg, perdu, nichts geht mehr. Klar, dass der Klerus da Hilfe herbeiholt, zumal die Gläubiger, mit denen der Gott Verträge laufen hatte, schon auf der Matte stehen, um ihre Ansprüche, die sie für teuer Geld erworben hatten, geltend zu machen.

Jetzt komme ich ins Spiel - gestatten, Tara ist der Name, dunkelhäutige Bauerntochter mit Sommersprossen, Kunstwirkerin und aus den fliegenden Verborgenen Schulen, in denen eben jene Kunst gelehrt wird, verbannt. Verbannt wie in fallengelassen, in die Tiefe gestürzt, nur weil ich das Labor meines Ausbilders abgefackelt habe. Ja, fragen Sie nicht, mein Leben war interessant.

Jetzt bekomme ich bei einer der ganz großen Sozietäten eine neue Chance das, was ich gelernt habe, was mein Leben ist, auszuüben. Zusammen mit meiner Chefin reise ich in die Stadt, stoße auf Intrigen, Drogenabhängige, Gargoyles, Vampire und Steinwesen, Verrat, Götter - und meinen alten, verhassten Professor, wegen dem ich den freien Flug überhaupt erst antreten durfte…


Was ist dies für ein Buch, ein Roman, mehr noch, der Auftakt einer mittlerweile fünfteiligen Saga? Ist es ein Fantasy-Roman, doch eher ein phantastischer Kriminal-Plot, eine abgedrehte Urban-Fantasy-Geschichte? All dies und doch auch wieder nicht.

Zunächst lernen wir unsere Erzählerin bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatdorf kennen. Sie erweckt kurz einige Tote zu einem zombieähnlichen Unleben, um sie als Wächter fürs Dorf einzusetzen. Dann wird sie rekrutiert, kommt in die große Stadt und nimmt, zusammen mit ihrer Chefin, einem Priester-Ingenieur, einem Piraten und einer Vertreterin der Schwarzanzüge die Ermittlungen zu zwei Morden auf.

Schon die Hinreise an Bord eines Seglers mit einem Vampir-Piraten als Kapitän weist eigentlich den Weg zur klassischen Fantasy-Kulisse. Dazu gesellen sich Pferdekutschen, eine eher archaische Gesellschaftsordnung - doch dann gibt es selbstfahrende Taxis, stöckelt unsere Protagonistin auf entsprechendem Schuhwerk und mit Seidenstrümpfen durch die Küstenstadt - also doch eine Handlung in einer Jetztzeit?

Letztlich bleibt dies irrelevant, da die Mysterien um die Morde, was und wer dahintersteckt sowie die existenziellen Bedrohungen unserer Erzählerin, den Plot beherrschen.

Und Max Gladstone hat sich ein faszinierendes Garn für seine Leserinnen und Leser einfallen lassen. In der so schon interessanten Kulisse der Kirche, des Vergnügungsviertels und des Hafens präsentiert er uns jede Menge unerwarteter Wendungen und Offenbarungen. Auch wenn wir kaum körperliche Auseinandersetzungen haben, bietet sich die Handlung packend und temporeich an. Die innere Dramatik fesselt uns an die Seiten, die ungewöhnlichen Figuren, die sich immer wieder anders verhalten als erwartet, tun ein Übriges, die Lektüre abwechslungsreich und überraschend zu gestalten. Dazu kommt ein lakonisch-ironischer Tonfall, wird der Scheinwerfer nur zu oft auf die sonst verhüllten Schattenseiten derer im Dunkel gerichtet, erleben wir Not, Elend der Armen, oftmals Abhängigen, aber auch den Glamour der wenigen Reichen mit. Dabei kommt auch ein gerüttelt Maß an Kritik an der Kirche und deren machtgierigen Priestern zum Ausdruck.

Das fesselt, das unterhält, das lädt zum Miträtseln ein - doch auf die Lösung des Falles werden wir Leser kaum kommen. Fortsetzungen mit anderen Figuren in der Hautrolle sollen folgen - her damit!