Sebastian Thiel: Das Blut der Unschuldigen - Ein Fall für Lescale und Schwarz 1 (Buch)

Sebastian Thiel
Das Blut der Unschuldigen
Ein Fall für Lescale und Schwarz 1
dp Verlag, 2020, eBook, 4,99 EUR (auch als Taschenbuch erhältlich)Rezension von Elmar Huber

„Sie war allein, stand abseits und ließ den Blick über die traurige Szenerie gleiten. Die Tote wurde abtransportiert, Kolleginnen und Kollegen der Spurensicherung packten bereits ihre Sachen zusammen. Auch die Nonnen waren verschwunden. Langsam leerte sich der Platz, und nur die gelben Zahlenschilder und die Absperrbänder waren der stumme Beweis, welche schreckliche Tat sich auf den kalten Stufen vor nicht allzu langer Zeit ereignet hatte.“

Gerade hat die ehemalige Ordensschwester Victoria Lescale ihre Siebensachen gepackt, um das Kloster Marienburg, das für eine Zeit lang ihre Heimat war, zu verlassen, da findet sie auf den Stufen des Gebäudes die Leiche ihrer Zimmergenossin Fayola Bakare. Gerade noch sieht sie einen dunkelhäutigen Mann vom Tatort fliehen. Von den Polizeibeamten wird schnell der Bruder der nigerianischen Nonne als Täter herausgedeutet, man kennt ja die Pappenheimer und ihre Kultur.

Für Victoria gibt es jedoch zu viele Dinge, die den Fall nicht so simpel erscheinen lassen; Fayolas Zimmer wurde durchsucht, und ihre Akte ist aus dem Büro der Oberin verschwunden. Lediglich die desillusionierte Kriminalkommissarin Carmen Schwarz, die dank der Macho-Mobbing-Methoden ihres Vorgesetzten und ehemaligen Liebhabers nur „die Nachthexe“ genannt wird, scheint bereit, Victorias Verdacht zu teilen.

Bald erfahren sie von den Grausamkeiten, die Fayola und ihr Bruder als Kinder in der Hand von Schleppern und der ominösen Sekte Puer Piscis erdulden mussten, bevor ihnen die Flucht gelang. Haben die „Jungfische“ sie aufgespürt und für ihre Flucht büßen lassen? Und welches Interesse hat ein aufstrebender rechtsgerichteter Lokalpolitiker an dem Fall?

„Es gab keinen Zweifel, dass ihr Chef, ja, die gesamte Mordkommission, den Fall schnell zu den Akten legen wollte. Die Ringfahndung war eingeleitet, bald schon würden sie die ersten Verdächtigen präsentieren, und wahrscheinlich war unter ihnen der Mörder. Simpel. Einfach. Schnell. Effizient. Nur warum, um alles in der Welt, wollte diese schrille Alarmglocke in ihrem Kopf einfach nicht verstummen? Was hatte sie übersehen?“


Mit „Das Blut der Unschuldigen“ legt Krimi- und Thriller-Spezialist Sebastian Thiel („Sei ganz still“, „Panikstadt“) einen dichten Thriller mit ungewöhnlichem Ermittler-Duo vor, den man sich auch sehr gut als Fernsehkrimi der etwas härteren Gangart vorstellen kann.

Der Roman beginnt sehr ungewöhnlich im Düsseldorfer Kloster Marienburg, wo auch gleich die Leiche gefunden wird, die die Handlung ins Rollen bringt. Während sich die gestrauchelte Nonne und ehemalige Mitbewohnerin der Toten Victoria Lescale und die desillusionierte und zur Zynikerin gewordene Ermittlerin Carmen Schwarz mehr und mehr zusammenraufen, zieht der Fall immer größere Kreise. Die Spur der toten Nonne führt zur Sekte der Puer Piscis, der „Jungfische“, deren pädophilen Mitglieder ständig mit illegal importiertem ‚Frischfleisch‘ versorgt werden, womit die recherchierenden Frauen aber sich selbst und ihre Familien in tödliche Gefahr bringen. Denn dass jemand über die Puer Piscis auspackt, kann sich der Menschenhändlerring nicht leisten.

An sich ist alles, was Sebastian Thiel hier erzählt, bekannter Thriller-Standard: Ein ungleiches Duo, dessen Zweckgemeinschaft zu Freundschaft wird, Ermittler, die die Grenzen der Legalität überschreiten, mächtige und skrupellose Puppenspieler, deren Fäden auch in den Polizeiapparat reichen, etc. Das alles fügt der Autor jedoch so souverän, temporeich und in einem mitreißenden Rhythmus zusammen, dass keinen Moment Langeweile aufkommt. Einige Überraschungsmomente sorgen außerdem dafür, dass die Handlung nicht zu vorhersehbar wird. Überdies sind die Hauptcharaktere sehr gut gezeichnet und können den Leser schnell für sich vereinnahmen. Dafür sorgt auch der stilistische ‚Trick‘, dass die Kapitel abwechselnd aus der Sicht von Lescale und Schwarz geschildert werden. Erwartungsgemäß fällt die Charakter-Entwicklung aus: Kriminalkommissarin Schwarz lässt ihren Panzer immer mehr fallen, Ex-Schwester Lescale entdeckt ihre Fraulichkeit und das Leben außerhalb der Klostermauern für sich.

„Das Blut der Unschuldigen“ ist ein routinierter Thriller mit einem ungleichen Ermittlerduo und gelungenen Überraschungsmomenten. Gerne mehr davon.