Die Legende von Oz: Wicked West 1 (Comic)

Tom Hutchison
Die Legende von Oz: Wicked West 1
(Oz: Wicked West Vol. 1, 2014)
Aus dem Amerikanischen von Sandra Kentopf
Zeichnungen von Alisson Borges
Panini, 2014, Paperback, 160 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-95798-054-0

Von Christel Scheja

„Oz“ von Frank L. Baum ist eine zutiefst amerikanische Geschichte, auch wenn man ihr es durch das eher europäisch-mittelalterliche Setting nicht anmerken mag. Die Heldin Dorothy Gale stammt aus Kansas, ebenso wie der Jahrmarktszauberer, der sich in das magische Land verirrt hatte und über die Smaragdstadt herrscht. Warum also sollte man die Geschichte nicht gleich in die Zeit und Welt des Wilden Westens verlegen? Das dachte sich auch Tom Hutchison und erschuf daher die Serie „Die Legende von Oz: Wicked West“, deren erster Band nun vorliegt.

Vor drei Jahren hat es Dorothy Gale durch einen Wirbelsturm in das magische Land von Oz verschlagen. Seither versucht das mutige Cowgirl zusammen mit ihrem Pferd Toto nach Hause zu kommen. Sie weiß recht genau, dass ihr vermutlich nur der Zauberer in der Smaragdstadt dabei helfen kann – aber der Weg dorthin ist lang und steinig, zumal die gelbe Ziegelstraße in weiten Teilen zerstört wurde; kein Wunder, besteht sie doch aus echten Goldbarren.

Sie hat in der Zeit aber gelernt, die guten von den bösen Buben zu unterscheiden und bei der ganzen Härte ihr Herz nicht zu verlieren. Deshalb befreit sie in einem Saloon, der ihr gleich nicht ganz koscher vorkam, einen angeketteten Löwen. Das beeindruckt einen Blechmann, einen Hüter des Gesetzes, der sie weiter beobachten will und ihr nicht mehr von der Seite weicht. Später schließt sich ihnen auch noch eine Vogelscheuche an, ein junges indianisches Mädchen, das nicht spricht aber durchaus weiß, was sie Dorothy verdankt.

Und das kommt der jungen Frau aus Kansas zugute, zieht sie doch nicht ungezwungen durch die Lande, sondern muss sich immer wieder ihren Verfolgern stellen: maskierten Affen, die sie auf Befehl ihrer Herrin in ihre Gewalt bringen sollen – hat sie doch bei der Ankunft in Oz unabsichtlich einen Mord begangen. Bisher stand ihr deswegen nur Glinda, eine Zauberin in Gestalt einer Bardame, zur Seite – nun aber hat sie Mitstreiter bekommen, die ihr endlich helfen, den richtigen Weg zu finden.

In groben Zügen erkennt der Leser natürlich die klassische Geschichte wieder, aber Tom Hutchinson erlaubt sich in „Die Legende von Oz: Wicked West“ Einiges an Freiheiten, indem er etwa nicht mit Dorothys Ankunft in dem magischen Land beginnt, sondern gleich mitten in die Geschichte einsteigt und die Heldin zu einer abgebrühten und erfahrenen Frau macht, die sich nicht mehr so leicht täuschen lässt und vor nichts Angst oder Respekt zu haben scheint, so wie es zu einer rauen Revolverheldin passt, die gelernt hat, sich in einer Männerwelt zu behaupten, ohne ihre weiblichen Reize ausspielen zu müssen.

In diesem Teil der Geschichte lernt sie ihre Gefährten kennen, die ebenfalls in klassische Westernrollen schlüpfen: der Blechmann wird zum zynischen, älteren Gesetzeshüter, der das Treiben Dorothys mit einer gewissen Distanz betrachtet, aus dessen Wissensschatz sie aber auch schöpfen kann. Die Vogelscheuche ist ein hübsches, wenn auch stummes Mädchen, eine treue indianische Squaw, die ebenfalls dann immer ihre Qualitäten zeigt, wenn man am wenigsten damit rechnet. Nur der Löwe scheut sich erst, sich der Gruppe anzuschließen. Auch er spricht nicht unbedingt.

Der Konflikt ist der gleiche wie in der Originalgeschichte. Im Hintergrund lauert ebenfalls eine böse Hexe, die ihre Schergen aussendet, um Dorothy in die Hände zu bekommen – was den geflügelten Affen, die in verschiedenste Rollen schlüpfen, vom Desperado bis hin zur vollbusigen Saloondame, aber nicht so recht gelingen mag.

Alles in allem bietet die Geschichte keine sonderlichen Überraschungen wenn man das Original bereits kennt, lebt aber vor allem durch sein Ambiente und seine selbstbewusste Heldin, die nur wenige Züge ihres kindlicheren Selbst behalten hat. Natürlich kommen auch die Fans von Action nicht zu kurz, denn immer wieder muss sich Dorothy ihren Verfolgern stellen und Gefahren überwinden, die es in sich haben. Klischees des Western-Genres werden in der märchenhaften Handlung nett auf den Kopf gestellt, was für zusätzliche Unterhaltung sorgt.

„Die Legende von Oz: Wicked West“ ist auf den ersten Blick zwar wieder nur eine weitere Adaption eines Kinderbuch-Klassikers, ragt aber aus der Masse der Publikationen heraus, weil Autor und Künstler die bekannte Geschichte nicht wieder nur mit Horror und Erotik spicken, sondern ganz bewusst in die Zeit des Wilden Westens versetzen und mit all den damit verbundenen Klischees spielen. Dadurch sieht man dann auch wohlwollend darüber hinweg, dass die Geschichte selbst nicht viele Überraschungen bietet.