Henkel. Oliver: Im Jahre Ragnarök (Buch)

Oliver Henkel
Im Jahre Ragnarök
Titelbild: Timo Kümmel
Atlantis, 2009, Paperback mit Klappenbroschur, 216 Seiten, 12,90 EUR, ISBN 978-3-941258-05-1
(auch als Hardcover mit Lesebändchen nur direkt beim Verlag erhältlich, 14,90 EUR)

Von Oliver Naujoks

Nach im Selbsverlag veröffentlichen, preisgekrönten zwei Romanen (»Die Zeitmaschine Karls des Großen« (2001) und »Kaisertag« (2002)) und einigen Erzählungen erscheint der neue, dritte Roman von Oliver Henkel nun im Atlantis-Verlag.
Seinem Genre bleibt Henkel aber treu: Ungewöhnliche Alternativwelt-Geschichten im Gewand eines Thrillers bzw. Krimis.
Der Klappentext des Buches gibt sich bewusst äußerst vage, die Handlung und der Hintergrund werden auch im Roman nur zögerlich oder graduell offenbart, der folgende Absatz enthält somit einige Spoiler, wobei natürlich weitere Handlungs-Entwicklungen nicht verraten werden.

SPOILER:
Deutschland, 1962: Ein anderes Nachkriegsdeutschland, als wir es gewohnt sind. Aufgrund einer Krankheit Stalins geschuldeter Diadochenkämpfe in Moskau hatte sich die Rote Armee 1945 kurz vor Einnahme von Berlin zurückgezogen und in den USA herrschte niemand geringerer als J. Edgar Hoover nach dem Krieg als Präsident. Dies hatte fatale Folgen für Deutschland. Kein Wiederaufbau (weil es angeblich eine Beleidigung dargestellt hätte), im Gegenteil: Die komplette Infrastruktur Deutschlands wurde gesprengt, die Entnazifizierung wurde mit der Hilfe von Starkstrom-Elektroschocks durchgeführt (aua!) und mehrere Epidemiewellen haben einen Großteil der Bevölkerung dahingerafft. Die Folge: 1962 ist Deutschland eine dünn besiedelte Trümmerlandschaft, in welcher nur noch wenige Versprengte ein schreckliches Leben führen. In dieses Deutschland wird der in Feldzügen erfolglose britische Agent Tubber entsandt, um einen Todesfall aufzuklären. Zusammen mit einem desillusionierten, ihm abgestellten deutschen Polizisten und zwei Ex-Prosituierten kommt er nicht nur einem schwunghaften illegalen Kunsthandel auf die Spur, sondern vor allem auch einer Verschwörung alter Nazis unter dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, die tatsächlich die ganze Welt verändern könnte ….
SPOILER ENDE.

Wie schon angedeutet, die Hintergründe des ungewöhnlichen Szenarios erfährt man nur nach und nach, was manchmal sogar fast für Verwirrung sorgt, weil der Leser nicht genau weiß, woran er dran ist – was keineswegs schadet. Henkel liefert dafür so einige Beschreibungen, die so eindrücklich sind, dass man sich fast mehr davon gewünscht hätte – und dann bedauert, dass das Buch nach der Exposition das Szenario in den Hintergrund drängt und nur noch als Kulisse für einen zugegeben rasanten Zeitreise-Thriller nutzt. Dabei sind einige Handlungswendungen arg unglaubwürdig (und damit sind nicht die gemeint, die nachher durch die Pointe noch passend gemacht werden) und man hätte sich eine gewisse Beschränkung konventioneller Thriller-Standardszenen gewünscht, die arg handelsüblich Konfrontationen und Letzte-Minute-Rettungen abspulen, das alles sieht man Henkel allerdings sehr gerne nach: Denn dem lebendigen, äußerst sympathischen Helden-Quartett mit zwei Quasi-Verlierern und sehr patenten Ex-Prostituierten folgt man allzu gerne, die immer wieder in haarsträubende Situationen geraten, und dabei trocken nicht weniger als ständig Shakespeare und in einem entscheidenden Moment Wilhelm Tell (eine herrliche Pointe …) zitieren. Den Fallstricken einer allzu gewöhnlichen Nazi-Zeitreisegeschichte entgeht Henkel geschickt und höchst willkommen nicht nur durch Tempo und Spannung, sondern vor allem durch puren Irrsinn im langgezogenen Finale, dieses alleine lohnt schon die Lektüre des Buches: Der Eingriff in die Vergangenheit ist ein Standard-Topos des Zeitreiseromans, so einen verwegenen (und bösartigen) Eingriffsplan wie hier hat man aber wirklich selten gelesen. Gerne nimmt der Leser auch zur Kenntnis, wie der Autor über den Roman verstreute Spuren aufgreift und am Ende recht geschickt verwebt, das ist mitunter ziemlich clever konstruiert. Weniger Freude mit dem Buch werden (nerdige) Zeitreisetheoretiker haben, hier macht Henkel durch eine auffallend und bemerkenswert kursorische Erklärung mit einem Augenzwinkern ganz deutlich, dass der im Roman die Zeitreise erklärende Professor auch einen Zauberhut aufsetzen könnte …

In der Thematik erschien kürzlich im Atlantis-Verlag ein Roman mit thematischen Parallelen, »Alles bleibt anders« von Siegfried Langer, das Buch von Oliver Henkel ist diesem aber durch mehr Konzentriertheit, Einfallsreichtum und Tempo aber schon um einiges überlegen.

Im Sub-Genre des deutschsprachigen Alternativweltromans dürfte Oliver Henkel sich inzwischen so etwas wie die Marktführerschaft erschrieben haben. Nicht nur deshalb (Noblesse oblige …) darf man auf seinen nächsten Roman jetzt schon gespannt sein. Bis dahin bleibt »Im Jahre Ragnarök« ein trotz kleiner Schwächen und Gewöhnlichkeiten sehr unterhaltsamer, tempo- und einfallsreicher Lesespaß.