Kern, Oliver: Das Gewicht der Seele (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 30. Juni 2009 01:00
Oliver Kern
Das Gewicht der Seele
Titelillustration von Rainer Wekwerth
Sieben Verlag, 2009, Paperback, 194 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-940235-32-9
Von Carsten Kuhr
Paul Tucholsky sieht sich selbst als Lebenskünstler. Mit 18 Jahren haben ihn seine Eltern rausgeschmissen, seitdem hält er sich mit Gelegenheitsjobs und illegalen Geschäften im Speckgürtel Stuttgarts über Wasser. Doch selbst die längste Glückssträhne geht einmal zu Ende. Seine Gläubiger machen im wahrsten Sinne des Wortes handfesten Druck, ein lockeres Verhältnis droht mit einem Vaterschaftstest und neben dem leeren Geldbeutel ist einzig ein Dauerkater sein ständiger Begleiter.
Da kommt es ganz recht, dass in den Kleinanzeigen ein Fahrer gesucht wird. Vier ältere, auf den zweiten Blick aber erstaunlich rüstige Damen um die 70, suchen einen Chauffeur, der sie durch Europa kutschiert.
Nachdem das Salär mehr als ansehnlich, die Damen recht umgänglich und der Renault nigelnagelneu ist, lässt Paul sich nicht lange bitten.
Schon auf der Fahrt gen Nordwesten kommen Paul erste Zweifel. Da prügelt doch eine der Omas mit ihrem Gehstock auf einen Tunichtgut ein, der ihr Auto klauen will. Nun ja, ein schlechter Tag, oder die Wetterfühligkeit wird’s gewesen sein.
Erste Station ist dann Brüssel. Statt sich aber die weltbekannten Sehenswürdigkeiten der belgischen Hauptstadt anzuschauen, lässt die Neugier Paul nicht los. Er folgt den Damen und bemerkt nur zu bald, dass diese nicht nur Kaffeekränzchen und Pralinen im Kopf haben – die Damen sind auf einer Mission. Und sie hinterlassen eine Spur – Leichen alter Nazis pflastern ihren Weg. Quer durch Europa, immer verfolgt von Neonazis im Auftrag ihrer mysteriösen Gegner führt die Jagd.
Doch was nur transportieren unsere wackeren Damen in den Kühlbehältern, und was hat das alles mit einem Erziehungslager der Nazis im Rudersberg der 40er Jahre zu tun?
Die Antwort führt Paul und seine Auftraggeberinnen bis nach Budapest und tief in die braune Vergangenheit verrückter Nazi-Forscher, die auf die vom Führer angeordnete Suche nach dem Gewicht der Seele auf etwas ganz anderes gestoßen sind …
Oliver Kerns Phantastik-Debut hat mich, das darf ich offen zugeben, überrascht. Mit leichter Hand und viel schwarzem Humor berichtet er uns von einer Odyssee, die gar Erstaunliches zu Tage fördert.
Im Verlauf der turbulenten Handlung erschließt sich dem Leser peu a peu das Rätsel um einer der geheimsten Forschungen der Nazi. Zwar ist die Seele nun wirklich nicht das schwerste Organ, doch was die Forscher im Auftrag des Führers stattdessen entdecken, könnte die Welt in ihren Grundfesten erschüttern.
Das Pfund mit dem Kern hier wuchert, ist sicherlich ein liebevoll mit Ecken und Kanten gezeichneter Ich-Erzähler. Dieser ist wahrlich keine Lichtgestalt, kein wackerer Kämpe für Liebe und Gerechtigkeit, sondern ein Gauner, aber eben auch ein voller Zuneigung gezeichnetes Schlitzohr. Schwächen hat er viele, Chaos regiert sein Leben und doch ist er ein Mann mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Immer wieder führt ihn das Schicksal in Form von Euro-Bündeln in Versuchung, letztlich aber widersteht er der Verlockung des schnöden Mammons und nimmt den ungewollten Kampf auf. Dabei sucht er keine Erkenntnis, versucht nur die chaotischen Situationen, mit denen ihn sein Leben konfrontiert, irgendwie zu überstehen. Dass ihm seine Laster folgen, der Alkohol, das schöne Geschlecht und die Habgier die ihn antreibt, macht uns den Kerl sympathisch. Das erinnert an den Typ aus der Kneipe nebenan, mit dem wir uns gut unterhalten haben, das ist eine lebensecht gezeichnete Person, in die der Leser ohne jegliche Mühe schlüpft.
Daneben verwöhnt uns der Autor mit markten Beschreibungen der Schrullen unserer wagemutigen Damen. Diese erinnern in ihrer Ausstrahlung ein wenig an die resolute Art einer Miss Marple oder an die Golden Girls, und regt den Rezipienten angesichts der Situationskomik oft zum Schmunzeln an.
Die Auflösung des spannend aufbereiteten Rätsels ist dann ebenso überraschend wie folgerichtig, stilistisch liest sich der Roman aus einem Guss kurzweilig, sehr vergnüglich und zugleich spannend durch.
Da können sich so manche Werke bei den großen Publikumsverlagen eine Scheibe abschneiden – eine Empfehlung!