Holly Black: Roter Zauber (Buch)

Holly Black
Roter Zauber
Fluchwerker 2
(The Curse Workers, Book Two – Red Glove, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Anne Brauner
cbt, 2014, Paperback mit Klappenbroschur, 400 Seiten, 12,00 EUR, ISBN 978-3-570-30890-5 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Der Schüler Cassel Sharpe konnte einen Teil der Geheimnisse enträtseln, die seine Angehörigen -alles Fluchwerker – hüten und in die er unwissentlich hineingezogen worden war. Nun scheint sich alles zum Besseren zu wenden: Cassels Mutter wurde aus dem Gefängnis entlassen, wird aber sogleich wieder als Trickbetrügerin aktiv. Seine Brüder Barron und Philip, die ihn manipuliert hatten, wurden wiederum von ihm mit anderen Erinnerungen versehen und missbrauchen ihn nicht länger für ihre Pläne.

Seine Freundin Lila Zacharov, die er tot geglaubt hatte, lebt und besucht die gleiche Schule. Außerdem hat er in Sam Yu und Daneca Wasserman echte Freunde gefunden, die er nicht verlieren will und derentwegen er sich bemüht, offener und ehrlicher zu sein.

Unerwartet wird Cassel aus dem Unterricht geholt und von zwei FBI-Agenten zu einem Verhör abgeführt. Sie konfrontieren ihn mit der Nachricht, dass sein Bruder Philip ermordet wurde und sie annehmen, dass Cassel mehr über dessen Machenschaften und den Täter weiß. Tatsächlich hatte Philip die Seiten wechseln und für das FBI arbeiten wollen -ein Job, der nun Cassel angeboten wird und ihn in die Zwickmühle bringt. Bislang hat sich niemand aus seiner Familie mit der Polizei eingelassen; es wäre Verrat. Außerdem möchte sich die Zacharov-Familie seine Dienste sichern und bietet im Gegenzug Schutz und ein luxuriöses Leben.

Um seine Angehörigen aus der Angelegenheit herauszuhalten und nicht wie Philip zu enden, hält sich Cassel zunächst alle Optionen offen und beginnt zu recherchieren, wobei ihm Sam, Daneca und Lila im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen. Cassel findet heraus, dass die letzte Person, die seinen Bruder besucht hatte, eine Frau war – und als Mörderin kommen durchaus seine Mutter und Lila infrage. Er selbst hat als Verwandlungswerker Verbrechen begangen, an die er sich nicht erinnert und die jetzt auf seinem Gewissen lasten. Seine Nachforschungen werden zu einem Drahtseilakt, denn er muss dem FBI den Mörder liefern, darf dabei weder sich selbst noch seine Angehörigen belasten und hat außerdem eine schwere Entscheidung für seine Zukunft zu treffen.

Auch wenn „Roter Zauber“ relativ in sich abgeschlossen ist, sollte man für das bessere Verständnis „Weißer Fluch“, den ersten Band der „Fluchwerker“-Trilogie, gelesen haben. Der dritte Teil, „Schwarzes Herz“, wurde bereits für Februar 2015 angekündigt.

Die Autorin hält sich im vorliegenden Roman nicht lange damit auf, die Charaktere, die eine gemeinsame Geschichte haben, vorzustellen. Nur ganz kurz wird auf das bisherige Geschehen eingegangen, gerade so viel wie unbedingt nötig. Es geht fast nahtlos weiter, und auch die Protagonisten entwickeln sich und ihre Beziehungen in teils neue Richtungen.

Nach wie vor hadert die Hauptfigur Cassel mit sich und seinem Leben. Es sieht sich aufgrund der Talente, über die er und jeder in seiner Familie verfügen, als Schurke. Trotz Gewissensbissen setzt er seine Fähigkeiten ein, denn das wird von ihm erwartet, und er glaubt, nichts anderes zu können. Dennoch zieht er immer wieder Grenzen, da es Dinge gibt, die er nicht tun will, weil er dadurch vollends zum Verbrecher oder er seinen Freunden beziehungsweise guten Menschen schaden würde. Das bringt ihn natürlich in Konflikt mit seiner Mutter, mehr noch mit Barron und vor allem mit den Zacharows. Außerdem setzt ihn das FBI unter Druck, dessen Agenten er misstraut.

Während Cassel herauszufinden versucht, wer Philip ermordet hat und inwieweit er selber in die Delikte seiner Brüder involviert war, vertiefen sich die Freundschaftsbande zu seinen Mitschülern Sam und Daneca. Auch seine Liebe zu Lila ist ungebrochen, doch hat er triftige Gründe, sie auf Distanz zu halten. Auf sie beide wartet am Ende des Bandes eine unangenehme Überraschung, denn Lila muss ebenfalls eine Entscheidung treffen.

Das Ganze ist eingebettet in eine Fiktivwelt, die zwar der Gegenwart entspricht, in der es aber die sogenannten Werker gibt. Der Hintergrund wird weiter ausgebaut, und man erfährt, dass viele ‚normale‘ Menschen die Werker fürchten, da man nie wissen kann, ob man von ihnen manipuliert wurde/wird. Längst wird über Gesetze debattiert, laut derer sich die Werker registrieren lassen müssen und bei geringsten Verfehlungen für Jahre weggesperrt werden.

Das erinnert durchaus an das Marvel-Mega-Event „Civil War“: Nach einer Katastrophe, die von einer Gruppe Superhelden ausgelöst wurde und der viele Unschuldige zum Opfer fielen, zwang die Regierung alle Mutanten und Wesen mit besonderen Fähigkeiten, sich registrieren zu lassen und für sie zu arbeiten. Ein Teil der Betroffenen war dafür, ein anderer dagegen, und das Resultat war ein erbitterter Kampf unter Freunden, der noch mehr Tote zur Folge hatte. Auch „Babylon 5“ scheint Pate gestanden zu haben, denn die Telepathen müssen in der SF-Serie Handschuhe tragen wie in Holly Blacks Romanen die Werker.

Wie sich diese Problematik auf Menschen und Werker auswirkt, verdeutlicht die Beziehung von Sam und Daneca. Beide akzeptieren Cassel als Freund, auch wenn sie wissen, dass er eine unbekannte Werker-Gabe hat und ihnen vieles verheimlicht. Sam und Daneca verlieben sich, doch als Sam erfährt, dass Daneca eine Werkerin ist, muss er damit erst einmal fertig werden. Nicht allein ist es die Sorge, sie könne ihn – seine Gefühle für sie – manipulieren, sondern auch die Enttäuschung, dass sie ihm nicht soweit vertraut hat, ihm ihr Geheimnis früher zu offenbaren. Daneca wiederum kränkt seine Distanziertheit, und sie sieht die Beweggründe für ihr Schweigen, dass er sie ablehnen würde, wüsste er von ihrer Gabe, bestätigt.

Darüberhinaus wartet das Buch mit noch vielen anderen Details auf, die manchmal überflüssig wirken, aber sich zum Ende hin als notwendiges Puzzlestück im Gesamtbild entpuppen.

Nach wie vor wahren die Protagonisten eine gewisse Distanz zum Leser, aber die Kluft ist nicht mehr so groß wie im ersten Band, da man die Motive des Einzelnen nun besser versteht. Die Handlung ist verschlungen und spannend; sie endet mit einem kleinen Cliffhanger, weshalb dem Publikum, Jugendliche ab 15 Jahre und erwachsene Fantasy-/Mystery-Freunde, die Wartezeit auf „Schwarzes Herz“ umso länger erscheint.