Zink, Michelle: Die Prophezeiung der Schwestern (Buch)

Michelle Zink
Die Prophezeiung der Schwestern
(Prophecy of the Sisters)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Alexandra Ernst
Titelillustration von Klubovy
cbj, 2009, Hardcover, 410 Seiten, 17,95 EUR, ISBN 978-3-570-13721-5

Von Carsten Kuhr

New York, amerikanische Ostküste zum Ende des 19. Jahrhunderts. Bei der Beerdigung ihres Vaters lernen wir die Zwillingsschwestern Alice und Amalia – Lia genannt – kennen. Kurz danach entdeckt unsere Ich-Erzählerin Lia auf ihrem Handgelenk ein sonderliches Mal. Ein Kreis um den sich eine Schlange windet und innen ein C. Was nur hat es mit dem Mal und einem dazu passenden Amulett, in dessen Besitz sie auf mysteriöse Weise gelangt, auf sich?

In der Folgezeit entdeckt Lia, dass sie, wie auch ihre Schwester, vom Schicksal auserwählt wurde. Seit Jahrhunderten liegt die Macht, Samael (besser bekannt unter dem biblischen Namen Satan) und seinen Geisterhorden den Zutritt zu unserer Welt zu gewähren bei einer der Zwillinge, die andere dient als Hüterin des Tores. Die Prophezeiung besagt, dass eines Tages ein Engel den Platz des Tores einnehmen wird. Diese wird, mit Hilfe von vier Schlüsseln, über das Wohl der Welt entscheiden.
Ist Lia die Geweissagte, wird sie den Einflüsterungen Samaels und ihrer Schwester nachgeben oder wird sie die vier Schlüssel suchen, und Samael bezwingen? Die Zukunft wird es weisen.
Doch zunächst gilt es, ihre Queste anzunehmen, die Prophezeiung zu erkunden und Verbündete zu suchen – sammeln sich die Widersacher und Feinde doch. Immer deutlicher wird, dass die beiden Schwestern einander unversöhnlich gegenüberstehen. Welche wird sich durchsetzen, wird die Herrschaft Samaels auf Erden eingeleitet, oder der Satan bezwungen werden – zwei junge Frauen werden das Schicksal der Welt entscheiden …

Okkultismus, Seancen, die Welt des Übersinnlichen und uralte Prophezeiungen, die auf den ersten Blick heile Welt der Begüterten, sie bilden die Kulisse für einen Roman, in dem zunächst einmal recht wenig passiert. Dennoch gelang es der Autorin mich sofort mit ihrer Handlung gefangen zu nehmen. Es geht zunächst darum zu erforschen, was hinter den unheimlichen, ja beängstigenden Geschehnissen steckt, die unsere Erzählerin heimsuchen. Geschickt präsentiert uns die Autorin immer wieder neue Informationsschnipsel, nimmt uns mit auf eine Schnitzeljagd der besonderen Art.

Auch wenn die Zeichnung des Lebens zur damaligen Zeit noch zumindest etwas undeutlich bleibt prägen die Gestalten das Buch Ich hatte befürchtet, dass Zink ihre Schwerpunkte auf die romantische Beziehung Lias zu ihrem Liebhaber legen würde, und dass die rauschenden Kleider der damaligen Zeit im Mittelpunkt stehen würden. Dies ist glücklicherweise nicht der Fall. Stattdessen konzentriert sie sich auf der Erforschung der Prophezeiung, beschreibt einfühlsam die beginnende Entfremdung der Schwestern, die nur zu bald in offene Feinschaft umschlägt. Geschickt hinterfüttert sie diese Entwicklung mit Motiven – der bevorzugten Tochter, die verführte Schwester,der behinderte Bruder, der viel Nestwärme abzieht, das alles führt dazu, dass man die Antagonistin Alice, die mir fast schon als interessantere Person vorkam als unsere Erzählerin, durchaus verstehen kann. Sie, die eigentlich vom Schicksal als Tor auserwählt war, nur aufgrund des äußeren Eingriffs durch Kaiserschnitt nicht die Erstgeborene ist, sehnt sich nach Anerkennung, nach Bedeutung, will sich ihren rechtmäßigen Platz im Geschehen zurückerobern. Das ist nachvollziehbar und überzeugend ausgestaltet, auch wenn sie eindeutig die negative Rolle zugewiesen bekommen hat.

Nach einer gewissen Konsolidierungsphase, nach der Einführung der Prophezeiung, wird der Ton des Buches dann deutlich dunkler. Traumreisen in die Geisterwelt, die bedrohlichen Horden Samaels, dunkle Magie und Totenbeschwörungen – die Autorin fährt auf, was bei ihrer Zielgruppe (jungen Frauen) beliebt und angesagt ist. Das ist weit weg vom subtilen oder plakativen Horror eines Stephen King oder Clive Barker, das spielt sich mehr auf der gedanklichen Ebene ab, ist aber dennoch oder gerade deshalb bedrückend, ja furchterregend. Natürlich kokettiert die Autorin mit Seancen, mit Zukunftsvisionen von Medien, mit Druidenwissen und Steinkreisen. Dies aber so geschickt und in der Ausarbeitung frisch und unverbraucht, dass sich das Buch auf einen Rutsch spannend und trotz der eigentlichen Handlungsarmut spannend durchliest.