Peter Schünemann: Das Seelenrad (Buch)

Peter Schünemann
Das Seelenrad
Titelmotiv von Mario Franke
Projekte-Verlag, Paperback, 226 Seiten, 14,50 EUR, ISBN 978-3-86237-699-5 (auch als eBook erhältlich)

Von Armin Möhle

„Das Seelenrad“ enthält Horror- und Fantastik-Kurzgeschichten von Peter Schünemann, der in diversen Fanzines, Magazinen und Anthologien veröffentlicht(e). Ein gewisser Schwerpunkt der Collection liegt – wohl unbeabsichtigt – auf den Halloween-Storys.

In „Ein kleiner Spaziergang zu Halloween“ wundert sich der Protagonist, warum er von den nach Süßigkeiten gierenden Kindern gemieden wird. Nun, die Erklärung ist relativ einfach … „Halloween in Amerika“ ermöglicht es dem Protagonisten, einem alten Mann, seine verstorbene Frau wiederzusehen – nur an diesem Tag. „Halloween“ ist ein niedergeschriebener Wunschtraum. „Immer zu Halloween“ greift dasselbe Motiv wie „Halloween in Amerika“ auf, variiert es aber und zeigt die Kehrseite auf. „Franks Halloween“ bringt den Protagonisten mit seiner Tochter Jenny zusammen, die bei seiner Ex-Frau und ihrem neuen Partner lebt – indem sie den wahren Charakter des Halloween-Festes für sich zu nutzen wissen (auch wenn sie das vermutlich nicht geplant haben).

Fünf Halloween-Storys, und fünf verschiedene Plots!

Der Autor zeigt sich aber auch neben seinen Halloween-Storys als ideenreich.

Zu den originellsten Kurzgeschichten in „Das Seelenrad“ zählt „Der Friedhof am Rande der Stadt“, der unvermittelt auftaucht – und genauso unvermittelt verschwindet, nach dem er seine, na, sagen wir: Aufgabe erfüllt hat. In „Meltheims Gedichte“ stößt der Protagonist auf einen Lyriker, der für ein Getränk und eine Mahlzeit geniale Gedichte schreibt – doch der Protagonist kann nicht der Versuchung widerstehen, sie als seine eigenen auszugeben. In die „Community“, eine (Internet-) Gruppe, dringt ein Fremder ein, der mit eindringlichen Kommentaren zu den eingestellten Fotos zu faszinieren weiß. Als seine Aktivitäten den Gruppenmitglieder zu undurchsichtig werden, versuchen sie, ihn bloßzustellen, was in einer Katastrophe endet. Doch das ist keineswegs auch der Schluss der Story; die Bedrohung durch den Fremden steigert sich noch erheblich…

Relativ konventionell kommen die Titelstory „Das Seelenrad“ und andere daher. Dem Protagonisten mutet in „Das Seelenrad“ eine neue Kollegin eigentümlich bekannt an, er kann sich an ihre Bekanntschaft aber nicht erinnern. Er spioniert ihr nach und erkennt sie wieder: Sie haben beide bereits in der Vergangenheit gelebt, und der Protagonist hat die Frau getötet. „In den Bergen“ geht der Protagonist in seiner Jugend ein Bündnis mit dem Berggott ein, der später die Gegenleistung einfordert, die Zerstörung einer Straße mittels eines Blutopfers. In „Die Nacht vor dem Bagger“ kehrt der Protagonist in das Abrisshaus zurück, in dem er sich und eine Kollegin gegenseitig aus den Werken E. A. Poes vorlasen. Die Frau starb zuvor bei einem Flugzeugabsturz, doch nun kehrt sie zurück.

Zwiespältig ist „Isabel“. Ein sechsjähriges Mädchen verschwindet spurlos, nach dem in der Nähe ein Kinderbordell ausgehoben wurde. In Verdacht geraten der Vater und andere männliche Verwandte, die durchweg bombenfeste Alibis aufweisen. Als Täter entpuppt sich zum Schluss der Kurzgeschichte in der Tat der Vater, und zwar in Form eines Dämons. Der Autor benötigt einige Winkelzüge in der Handlung, um die Situation zu schaffen, in der Vater und Dämon enttarnt werden kann. „Isabel“ wird der Sensibilität des Themas Kindesmissbrauch nicht gerecht und ist umständlich konstruiert.

In der „Tigerkäfig“ werden zwei Handlungsstränge miteinander vermischt, die nicht völlig miteinander harmonieren wollen. Der Protagonist ist ein frustrierter Fahrkartenkontrolleur, der nachts von Tigern träumt, die ihn zerfleischen. Er gewinnt den Eindruck, dass das Ende der Welt bevorsteht und macht eine Metamorphose durch in einen – Tiger. Als Symbol der Befreiung – oder der Flucht?!

„Die Fabrik am Meer“ ist die längste Story in „Das Seelenrad“. Der zehnjährige Sohn des Fabrikchefs entdeckt seine Welt, wird von einem Vater unterrichtet und darf nach einigen Jahren die Fabrik erkunden. Er trifft auf die Arbeitskräfte der Fabrik, die sich deutlich von ihm und seinen Vater unterscheiden, und lüftet ihr Geheimnis. „Die Fabrik am Meer“ beschränkt sich auf die Darstellung der Bewohner der Fabrik, ihres Chefs, seines Sohnes und der gemeinen Arbeitskräfte, ihrer Beziehungen zueinander und auf ihre Entstehung, die nach unseren Maßstäben unmenschlich und verwerflich ist. Über die Fabrik erfährt der Leser wenig, weder, seit wann sie existiert, was sie produziert, wenn sie beliefert usw. usf. Einerseits verschenkt der Autor damit gewisse Optionen, andererseits ist eine Detaillierung der Fabrik für den Plot nicht unbedingt notwendig.

Den stilistischen Anforderungen von Horror- und Fantastik-Kurzgeschichten, nämlich durch Deskriptionen dunkle oder bedrohliche Stimmungen zu erzeugen, wird Peter Schünemann in fast jeder Story gerecht.

„Das Seelenrad“ bietet vielfältige Horror- und Fantastik-Kurzgeschichten, manchmal konventionell, nur einmal verzichtbar, meist angesiedelt im Hier und Jetzt, und in (fast) jedem Fall unprätentiös und ansprechend. Wer Storys dieser Art schätzt oder nach einer Abwechslung zu seiner Science-Fiction- und/oder Fantasy-Lektüre sucht, dem kann „Das Seelenrad“ empfohlen werden.