Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: 1969 (Comic)

Alan Moore
Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: 1969
(The League of Extraordinary Gentlemen – Century: 1969, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Titelillustration und Zeichnungen von Kevin O’Neill
Panini, 2012, Paperback mit Klappenbroschur, 84 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-86607-465-1

Von Christel Scheja

Alan Moore und Kevin O’Neill führen mit der „Century“-Trilogie, die Helden aus „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ durch das 20. Jahrhundert und lösen sich damit endgültig von dem Steampunk-Image der ersten Serien. In „1969“ ist ein anderes Zeitalter angesagt – die „Flower Power“ und „Hippie“-Ära, in der Drogenexzesse und neue Freiheiten in der Liebe zu einer Veränderung in der Gesellschaft führten.

Doch wie kommen die Helden der viktorianischen Ära damit zurecht? Mina Harker nimmt es gelassen – sie hat sich nicht nur in der Mode, sondern auch im Verhalten der neuen Zeit angepasst, mir der sich andere wie Allan Quartermain eher etwas schwer tun. Nur Orlando, Wanderer durch die Zeiten, stört sich ebensowenig an den Entwicklungen.

Diesmal werden sie nach London gerufen. Frei von den Zwängen, die ihnen die Zusammenarbeit mit dem MI5 auferlegt hat, wagen sie eigene Ermittlungen, die sie tief in die angesagte Subkultur der Stadt führen. Mehrere außergewöhnliche Morde sind geschehen, die nur auf eines hindeuten: Der Kult des Schwarzmagiers Haddo ist immer noch aktiv. Und der umtriebige Schwarzmagier lange nicht so tot wie angenommen, scheint er doch einen Weg gefunden zu haben, seine Seele von einem Körper zum anderen zu transferieren. Um ihn aufzuhalten, müssen Mina und die anderen alles wagen; das bedeutet auch, sich auf die Zeichen der Zeit einzulassen: „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“. Dabei kommen selbst die hartgesottensten und zynischsten Helden tatsächlich einmal ins Schwitzen, denn nichts ist vorhersehbar – nicht einmal die Vorgehensweise ihrer Feinde.

Schon in den anderen Bänden von „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ achteten Alan Moore und Kevin O’Neill darauf, die Atmosphäre der jeweiligen Zeit einzufangen. Waren die früheren Bände sehr zurückhaltend und unterkühlt, so erweist sich „1969“ als das genaue Gegenteil.

Der Leser fühlt sich stellenweise in einen psychedelischen Drogentrip versetzt. Nicht nur die Mode, auch der Stil der 1960er Jahre findet sich in den Zeichnungen und den Farben wieder. Teilweise recht bizarr und surrealistisch, dann wieder von realistischer Nüchternheit geprägt, führt die Handlung durch ein Auf und Ab von Realität und Fiktion, von vernebelter Wahrnehmung bis hin zu den harten Tatsachen. Allerdings muss man sich darauf einlassen, dass diesmal nur Mina im Vordergrund steht, Allan und Orlando, ihre Begleiter, sind mehr oder weniger nur Statisten und Stichwortgeber – die Handlung selbst treibt eher die Frau voran, die längst nichts mehr mit der steifen viktorianischen Dame zu tun hat.

Nebenher gibt es viele kleine aber feine Anspielungen auf die Popkultur der damaligen Zeit, die nicht jeder kennt, aber Genre-Fans wie Alan Moore durchaus vertraut sind, wenn sie mit dieser Ära aufgewachsen sind, wie etwa Michael Moorcocks Jerry Cornelius. Insgesamt wartet der Band mit vielen überraschenden Wendungen auf, die die Geschichte allerdings auch ein wenig auseinanderreißen.

Alles in allem erweist sich „Die Liga der außergewöhnlichen Gentleman: 1969“ als interessante, wenn auch ein wenig verrückte Weiterführung der Saga, die zudem das Steampunk-Ambiente fallenlässt. Ob ihm das gefällt, muss der Leser allerdings selbst entscheiden, denn die Graphic Novel atmet die Atmosphäre einer ganz anderen Zeit.