Mittelalter – Die dunklen Jahre (Buch)

Mittelalter – Die dunklen Jahre
Quellenband für Call of Cthulhu 2. Edition
Redaktion: Heiko Gill
Texte von Falko Behr, Carsten Brombach, Ole Christiansen u.a.
Titelbildgestaltung von Manfred Escher, Bilder aus diversen historischen Quellen, weitere Illustrationen und Pläne von Daniel Jödemann und Chris Schlicht, Handouts von Kim Schneider, Charakterbogen von Oliver Fedtke
Pegasus, 2009, Hardcover, 310 Seiten, 39,95 EUR, ISBN 9783937826844

Von Christel Scheja

Die Helden von „Call of Cthulhu“ sind normalerweise aufgeklärte Männer und Frauen, die viel mehr auf den Verstand, Rationalität und die Wissenschaft setzen, als auf Gefühl und Glauben. Umso härter trifft es sie dann, wenn sie Dinge erfahren oder erleben, die sie mit ihrem Geist nicht mehr erfassen und analysieren können.

Aus diesem Grund wurden bisher Ausflüge in die Vergangenheit nur sehr selten vorgenommen. Gerade das „finstere Mittelalter“ scheint wenig dazu geeignet, eine Kampagne zu wagen, in der Menschen sich auf die Spur des Mythos machen. Denn in einer Welt, in der Religion und Aberglaube die Welt beherrschen, scheint die Suche nach logischen Erklärungen fehl am Platze sein, wird ein Weltbild eher gänzlich gefestigt oder erschüttert und nicht nur in Frage gestellt.

Dennoch wagt „Mittelalter – Die dunklen Jahre“ den Spagat zwischen rationalem Denken und Glauben. Der Kampagnenband bietet die Möglichkeit, seine Abenteuer in der Zeit zwischen 600 und 1600 nach Christus anzusiedeln und entsprechend auszugestalten. Dabei werden die einzelnen Epochen, wie Früh-, Hoch- und Spätmittelalter genauer betrachtet. Neben einem Abriss über die politische Geschichte werden auch die gesellschaftlichen Entwicklungen in verschiedenen Regionen Europas herausgearbeitet. Genauso ausführlich werden die sozialen und gesellschaftlichen Eckpunkte mit einem konzentrierten Blick auf das Deutsche Reich behandelt. Welche Stände und Volksgruppen geben in welcher Epoche den Ton an? Wie beeinflusst der soziale Hintergrund die Figur im Denken und Handeln? Wie sieht überhaupt der Alltag eines mittelalterlichen Menschen aus? In welchem Rahmen kann er aktiv werden? Wie leben Handwerker in Köln? Was macht Hafenstädte wie Hamburg aus? Wie sieht es mit Angehörigen fremder Kulturen aus, seien es nun Muslime, Juden oder Zigeuner? Wie geht man mit Leben und Sterben, aber auch Wahnsinn um? Und was treibt die frühen Entdecker an, in die Welt hinauszuziehen und Grenzen zu überschreiten?

Welchen Stellenwert hat die christliche Religion in den verschiedenen Epochen? Wie stehen Gläubige zu den Anhängern anderer Religionen? Kann man unter Umständen Ereignisse auch dem Wirken cthulhoide Mächte zuschreiben, wie etwa die Pest? Wie groß ist die Macht des Vatikan und welche christlichen Glaubenslehren sind wo besonders stark in ihrem Einfluss?
Zudem wird ein Blick auf die Alchimie geworfen, die die von den Menschen nicht rational behandelten Wissenschaften wie keine andere verkörpert. Man erfährt von alten Kultplätzen und ihrer Bedeutung für die Menschen, von Kulten, die sich neben dem Christentum herausgebildet haben.

Ein weiteres wichtiges Kapitel entwickelt sich in Form der Charakterentwicklung und den Regeln. Die Autoren geben nicht nur mögliche Berufe und Eckdaten an, sie machen auch Spieler und Spielleiter auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die auftreten könnten, wenn man möglichst „realistisch“ und zumindest stimmungsvoll spielen sollte. Wie kann man sich auch im Mittelalter dem Mythos stellen, auch wenn man eher ein Mensch des Glaubens als des Denkens ist? Wie umgeht man moralische und gesellschaftliche Schwierigkeiten; wie die Rolle der Frau? Die Autoren geben nichts vor, raten aber an, vorher eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, was man wie beachten soll.

Schließlich folgen noch zwei Abenteuer. Eines mit vorgegebenen Charakteren, das im Frühmittelalter in Skandinavien spielt und vordergründig Christen und Heiden in einem Streit miteinander konfrontiert. Im zweiten Abenteuer dreht sich alles um die Geheimnisse einer abgelegenen Burg im Elsass.

Man kann darüber diskutieren, ob ein Hintergrund, der eigentlich darauf angelegt ist, die Mythen der Vergangenheit mit rationalem Denken und wissenschaftlichen Methoden zu erforschen, um dann doch festzustellen, dass es Dinge gibt, die man nicht erklären kann und dazu fähig sind den Verstand zermürben, wirklich in ein Mittelalter-Setting passt, in dem das Weltbild noch relativ einfach ist und das Denken eher von Glauben und Aberglauben geprägt wird. Allerdings haben es viele Mittelalter-Krimis und Horrorgeschichten vorgemacht: dass man durchaus Kompromisse finden kann und so den Hintergrund seiner Kampagnen erweitern kann.

Die Autoren verschließen ihre Augen vor den Schwierigkeiten nicht. Sie geben einen groben Abriss über die politische und gesellschaftliche Lage in verschiedenen Regionen Europas, den man noch durch andere Quellen genauer recherchieren kann, wenn man will – das Wissen reicht aber aus, um kleinere Abenteuer ohne große Folgen zu spielen. Viel wichtiger scheint ihnen zu sein, die Beziehungsgeflechte und Denkmuster aufzuzeigen, die die Menschen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort besonders geprägt haben können. Sie zeigen, wie sehr der mittelalterliche Mann oder die Frau in seine Welt eingebunden sind und wo es Nischen gibt, in denen sich später auch die Spieler bewegen können, ohne allzu eingeengt zu sein. Sie erläutern aber auch, welche Schwierigkeiten es geben kann, wenn ein religiöser Mensch voller Aberglauben mit dem Wirken des Mythos konfrontiert wird und was das für die Spieler bedeutet. Neben den beiden Extremen – vollständig vom Glauben abzufallen und selbst zu einem Kultisten zu werden –, kann es auch passieren, dass man sich noch mehr an Gott hält und alles andere für Teufelswerk hält.

Schwierig ist es dann für die Spieler, wenn sie einerseits ein gläubiger Mensch sein wollen, andererseits aber dennoch ein wissenschaftlich orientierter Zweifler sind. Auch sollte man hier bei der Charakterentwicklung auch seine Kampffertigkeiten nicht vernachlässigen – gerade in diesen Jahrhunderten ist es gut, wenn man sich seiner Haut wehren kann, da gewalttätige Übergriffe an der Tagesordnung sind.

Alles in allem bieten die Autoren eine Menge Möglichkeiten an, um seine Cthulhu-Kampagnen ins Mittelalter zu verlegen, allerdings ist auch Mitdenken bei den Spielern und Meistern gefragt, die vorher miteinander klären sollten, inwieweit sie sich der historischen Wirklichkeit annähern wollen. Interessant dürfte es allemal sein, mit den Figuren in Berührung zu kommen, die man später nur als Verfasser gewisser – dem Mythos sehr nahestehender – Bücher kennt.

Die Abenteuer zeigen, wie es gehen kann, gerade das Erste hilft durch die vorgefertigten Charaktere, besser zu verstehen, was das Spiel im Mittelalter ausmacht, das zweite unterstützt dabei, erste Schritte zu wagen.

Alles in allem ist der Quellenband sein Geld wert, wenn man als Gruppe das „Abenteuer“ wagen will, „Call of Ctuhlhu“ ins düstere Mittelalter zu verlegen und Lust auf ein etwas anderes Ambiente als üblich hat.