Sang Royal 2: Schuld und Sühne (Comic)

Sang Royal 2
Schuld und Sühne
(Sang Royal – tome 2: Crime et Châtiment, 2011)
Szenario: Alejandro Jodorowsky
Artwork: Dongzi Liu
Übersetzung: Marcel Le Comte
Ehapa, 2011, Hardcover, 56 Seiten, 13,95 EUR, ISBN 978-3-7704-3525-7

Von Irene Salzmann

Es ist König Alvar gelungen, seinen Thron zurückzuerobern und Rache an den Verrätern zu nehmen. Durch die Vermählung mit seiner vermeintlichen Tochter Sambra zieht er sich den Zorn der Kirche zu, nicht zu vergessen, dass die erste Königin Violenta noch lebt, wenn auch zusammen mit ihrem sadistischen, stummen Sohn Rador in der Abgeschiedenheit eines entfernten Burggemachs.

Alvar ahnt nicht, dass Violenta ihrerseits Rachepläne hegt, da sie ihrem Gemahl weder die Entmachtung noch die Verstümmelung Radors verzeihen kann. Als er mit seinen Soldaten aufbricht, um die Wölfe zu jagen, die die Schafe der Dorfbewohner reißen, ist die Stunde der Verschwörer gekommen: Sie überwältigen Sambra und schneiden ihr die Nase und die Brüste ab. Die junge Frau überlebt die Folter und will sich ihrem heimgekehrten Gatten nicht mehr zeigen. Alvar besteht jedoch darauf, sie zu sehen – und ist entsetzt. Liebe und Begehren verwandeln sich in Mitleid. Doch statt die Täter zu strafen, überlässt er ihnen die Herrschaft und zieht sich mit Sambra in die Wälder zurück.

Da Alvar schwerlich verleugnen kann, dass seine Gefühle nicht mehr dieselben sind, entmannt er sich, um Buße zu tun. Wenig später findet er heraus, dass Sambra schon vor langem einen blinden Schäfer zum Geliebten genommen hat. Alvar begreift, dass er nun alles verloren hat, was jemals von Bedeutung für ihn war.

Unterdessen hat sich das Volk von der Tyrannei Violenas und Radors befreit. Nachdem Alvar wieder zum König erhoben wurde, kreuzen sich seine und Sambras Wege erneut: Er fordert seinen Sohn, eines von zwei Kindern, die sie ihm und Florian geboren hat. Als sie sich weigert, fügt Alvar seinen Verbrechen ein weiteres hinzu…

Schon der Titel „Sang Royal“ („Königliches Blut“) impliziert, dass der Zweiteiler nichts für schwache Nerven ist. Die Lektüre des ersten Bandes, „Gottlose Hochzeit“, bestätigt dies. Mochte man anschließend glauben, Autor und Illustrator könnten die darin geschilderten Grausamkeiten nicht mehr toppen, sieht man sich durch „Schuld und Sühne“ schnell eines Besseren belehrt.

König Alvar befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Macht, nachdem er mit den Verrätern abgerechnet und Sambra, die Frau, die er liebt, zu seiner Königin gemacht hat. Obwohl er vorsichtig ist, unterschätzt er seine Gegner Violenta und Rador, die sich an Sambra und damit an ihm auf schrecklichste Weise rächen. Er überrascht jeden, indem er die beiden nicht tötet, sondern ihnen sein Reich überlässt und zusammen mit seiner Frau an ihre früheren gemeinsamen Tage im Wald anknüpft. Allerdings muss Alvar noch mehr Schmerz hinnehmen: Sambra weiß, dass ihr Aussehen ihn abstößt und er bloß noch Mitleid für sie übrig hat. Um sich dafür zu bestrafen, trennt er sich von seiner Männlichkeit – ein unnötiges Opfer, denn Sambra hat längst Trost in den Armen eines anderen gefunden, der sich an ihrer Entstellung nicht stört, weil er blind ist. Obwohl Alvar vor Wut schäumt, erkennt er, dass er diesmal nicht gewinnen kann und gibt auf. Er ist als König und gleichzeitig als Mann gescheitert.

Dass das Volk ihn wieder als Herrscher einsetzt, bringt unverhofft eine neuerliche Wende in seinem Leben, aber kein persönliches Glück. Alvar kommt seinen Pflichten nach, ist jedoch gezeichnet. Einmal mehr setzt er seinen Willen gewaltsam und ohne Rücksicht auf seine Opfer durch. Er scheint damit sogar davonzukommen, doch das Ende ist offen und erlaubt zu spekulieren, dass seine Strafe lediglich eine Frage der Zeit ist, nachdem er wissentlich vom Opfer zum Täter wurde und viel Schuld auf sich geladen hat.

Den tiefen Fall, der im vorherigen Band mit einer Verletzung und durch Verrat begann, hätte Alvar mehrmals aufhalten können, schließlich ist er die dominante Persönlichkeit und treibende Kraft, doch er entscheidet sich stets dafür, sich über alle menschlichen und göttlichen Regeln hinwegzusetzen und ausschließlich zu seinem persönlichen Wohl zu handeln. Dass ihn das Volk deswegen nicht verstieß, lag allein daran, dass es Alvars Widersacher noch schlimmer trieben, was Sambras Verstümmelung belegt.

Nach der Lektüre hat man das Gefühl, dass etwas fehlt, denn die Geschichte ist nicht wirklich abgeschlossen, zumal auch die Geister der Toten einige Geheimnisse bewahren und Batias Rolle unklar bleibt. Wenigstens ein Band mehr wäre wünschenswert.

Die realistischen Zeichnungen lassen keine Wünsche offen, was die Qualität anbelangt. Etwas störend wirkt nur, dass die Gräuel-Szenen meist keine entsprechenden Reaktionen nach sich ziehen und dem Selbstzweck zu dienen scheinen. Dadurch geht auch der Anspruch auf die Widergabe eines mittelalterlichen, symbolträchtigen Weltbildes verloren, das im ersten Band mühsam aufgebaut wurde, nun jedoch kaum noch eine Rolle spielt. Es gibt zwar Zeichen (der verdorrte Baum) und Geister (Batia), doch verkümmert die Handlung in der kryptischen Theatralik. Ansonsten sind die Entwicklungen relativ vorhersehbar, die Tragödie ist eine logische Konsequenz und das offene Ende unbefriedigend.

Es empfiehlt sich, ein wenig in den Bänden zu blättern, ob man den Splatter ohne Ende (in beiderlei Hinsicht) wirklich lesen möchte. Die Illustrationen sind sehenswert, aber auf so manch hässliches Detail hätte man lieber zu Gunsten eines runden Abschlusses verzichtet.