Dan Simmons: Flashback (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 08. Februar 2012 18:29

Dan Simmons
Flashback
(Flashback, 2011)
Übersetzung: Karl Jünger
Heyne, 2011, Paperback, 640 Seiten, 15,99 EUR, ISBN 978-3-453-26597-4 (auch als eBook erhältlich)
Von Thomas Harbach
Nach den ausgesprochen ambitionierten Romanen „Terror“ und „Drood“ legt Dan Simmons mit „Flashback“ eine deutlich kommerziellere Arbeit vor, die sich – was den Protagonisten angeht – an Simmons Hardboiled-Krimis orientiert, wobei der futuristische Hintergrund ausgesprochen nihilistisch ist. Dabei zerfällt die Arbeit in zwei ausgesprochen unterschiedliche Teile. Zum einen der teilweise doch stark konstruierte und im Groben vorhersehbare Plot mit einem Detektiv, der zwar nicht die Welt rettet aber eine gigantische Verschwörung aufdeckt (obwohl er eher wie Sam Spade in „Der Malteser Falke“ mit den eigenen Problemen sowie seiner Drogensucht zu kämpfen hat), zum anderen aber in dem sicherlich absichtlich provokativ beschriebenen Hintergrund, der – obwohl Dan Simmons sich von den politischen Implikationen distanziert – zumindest diskussionswürdig ist.
Der Plot scheint als rein mechanischer Kompromiss gegenüber dem Leser zu dienen. Nick Bottom ist ein ehemaliger Polizist, der vor fünf Jahren seine Frau bei einem Autounfall verloren hat. Seinen inzwischen fünfzehn Jahre alten Sohn hat er bei seinem Schwiegervater in Los Angeles geparkt, das von weniger Unruhen erschüttert wird als Bottoms Heimatstadt Detroit. Der ehemalige Workoholic Bottom ist „Flackback“ süchtig. Für einen Dollar die Minute ermöglicht die Drogen den Abhängigen, in die Vergangenheit einzutauchen und die schönsten/schrecklichsten/beliebtesten Augenblicke noch einmal neu zu erleben. In doppelter Hinsicht wird Bottom mit seiner jüngeren Vergangenheit konfrontiert. Er soll den Mord an einem jungen Japaner noch mal untersuchen. Dessen Vater ist einer der mächtigsten Konzernchefs der Welt. Bottom hat den Fall schon einmal während seiner Polizistendienstzeit bearbeitet, konnte aber den/die Täter nicht finden. Ihm wird eine riesige Belohnung in Aussicht gestellt. Dazu kommt ein üppiges Spesenkonto, mit dem sich Bottom nicht nur Flashback für den Fall kaufen kann, sondern vor allem auch für die eigene Reise in eine bessere Vergangenheit.
An seine Seite wird der kräftige Leibwächter des Industriellen gestellt. Im Grunde hat Bottom kein wirkliches Interesse, den Mord aufzuklären, sondern versucht möglichst lange vom Geldstrom seines Auftraggebers zu profitieren. Es ist plottechnisch sicherlich keine Überraschung, dass Bottom trotz seines Widerwillens nicht nur neuen Hinweisen auf die Spur kommt, sondern dass der Unfalltod seiner Frau und ihres Kollegen wahrscheinlich ein erfolgreicher Mordanschlag gewesen ist. Hinter der Hinrichtung des Industriellen-Sohnes steckt sehr viel mehr, als Bottom anfänglich vermutet. Schnell gerät sein Leben in Gefahr, während sein Sohn Val in Los Angeles ein Attentat auf einen japanischen Botschafter mit seiner drogenabhängigen Gang ausführt und zusammen mit dem Großvater aus Los Angeles fliehen muss. Sie schließen sich einem Konvoi aus, was in den wirtschaftlich bankrotten und jegliche Ordnung verlorenen USA ein Himmelfahrtskommando ist.
So sehr sich Dan Simmons auch bemüht: Im Vergleich zu den ansonsten sehr dreidimensionalen Charakteren seiner anderen Werke bleibt Nick Bottom dem Leser fremd. Der drogenabhängige Zyniker ist zu klischeehaft gezeichnet und zusammen mit dem stoisch schweigsamen japanischen Leibwächter bilden sie insbesondere in Anbetracht der Auflösung des Plots ein zu seltsames Paar. Der Funke springt im Grunde nicht über. Je tiefer Bottom in diesen im Grunde unlösbaren Fall eindringt, umso weniger benötigt er die Droge Flashback. Anscheinend gibt es keine echten Entzugserscheinungen oder Stress negiert die Abhängigkeit. Während Flashback das Eintauchen in die Vergangenheit wie bei einem emotionalen dreidimensionalen Film ermöglicht, soll laut Gerüchten das in Produktion befindliche Flachback 2 die Änderung dieser Erinnerungen wie bei einem virtuellen Spiel ermöglichen. Nick Bottom befragt einige Zeugen der damaligen Mordnacht; erkennt auf einem der Überwachungsvideos, dass sich seine Frau ebenfalls in der Nacht in der Nähe des Hauses aufgehalten hat und kommt schließlich zumindest für den Leser einigermaßen zufriedenstellend begründet zu einer eher verblüffenden Lösung, deren Gehalt über wirtschaftliche Machtinteressen hinausgeht.
Anstatt den Roman auf einer eher realistisch dunklen Note abzuschließen, bemüht Dan Simmons plötzlich nicht nur das Bild des idealistischen amerikanischen Helden – es finden sich zahlreiche Anspielungen auf die sich im Alamo opfernden texanischen Freiheitskämpfer –, sondern dreht einen bis dahin interessanten, aber auch ambivalenten Charakter förmlich um. Dieser eher bemühte Versuch inklusiv zweier Epiloge, den Roman auf einer positiven wie versöhnlichen Note enden zu lassen, wirkt nicht überzeugend. Es wäre schockierender und vor allem provozierender gewesen, den Roman mit einem negativ ausgehenden Showdown enden zu lassen. Rainer Erler war in dieser Hinsicht bei seinen semifuturistischen Thrillern ein Spezialist, in denen der Zuschauer als stummer allwissender Zeuge zurückgelassen und zum Nachdenken angeregt worden ist.
Der Hintergrund des Buches ist dagegen wie schon angedeutet provokanter und politisch brisanter. Sowohl Europa als auch die USA haben sich mit ihren unbegründet überzogenen Sozialprogrammen übernommen und politisch ins Abseits manövriert. Bei Simmons beginnt die Tragödie unter Obama, der schließlich die USA durch eine neue Isolationspolitik abgeschottet hat. Während China unter seinem eher fiktiven und staatspolitisch gesteuerten Wirtschaftswachstum zusammengebrochen ist und Europa auch durch die Finanzkrise keine Rolle mehr spielt, sieht Dan Simmons Japan wieder als die kommende Macht. Weniger politisch, da Japan auf die Stufe des Imperialismus inklusiv eines Shogun als Führer der mächtigen Konzerne zurückgekehrt ist. Diese Vorstellung scheint angesichts der gegenwärtigen insbesondere industriellen Situation bizarr, aber neben der inzwischen die Welt beherrschenden Konglomerate hat Japan eine andere Art von Waffe ausgeschickt, die vielleicht die einzige wirklich Überraschung des Romans ist, auch wenn man zwischen den Zeilen weit vor Nick Bottom die Implikationen erkennen kann. Japan mit seinen Atomwaffen – woher die kommen, bleibt das Geheimnis des Autors – ist das einzige Gegengewicht zum Kalifat, dem sich rasend schnell ausbreitenden Islam, der mit einer aggressiven Politik nicht nur den Nahen Osten islamisiert, Israel atomisiert, Europa unterwandert, sondern vor allem nach Grundstücken und ganzen Bundesstaaten der USA gegriffen hat. Diese Vorstellung ist sicherlich eine extreme Extrapolation der gegenwärtigen politischen Strömungen, aber soll das Gegengewicht zu den auch innenpolitisch zerfallenen USA bilden. In den großen Städten herrscht Anarchie, Terrororganisation jeglicher politischer Farbe zünden Bomben oder sprengen Autos in die Luft. Der Rechtsstaat ist zerfallen, die Versorgung der Bevölkerung findet nicht mehr statt, die amerikanischen Einwohner haben sich – sofern sie über Geld verfügen – in Ghettos isoliert, während die immigrierten Ausländer den Rest der USA kontrollieren.
Es ist ein grimmiges Bild, das Dan Simmons hier zeichnet. Hinzu kommt die das öffentliche Leben inzwischen lähmende Droge Flashback in Kombination mit einer Hyperinflation, wobei der Leser sich fragt, wie eine als Produktivvermögen nicht mehr existente USA überhaupt über die Mittel verfügt, seine inzwischen deutlich weniger gewordenen Einwohner zu ernähren beziehungsweise wie die Menschen trotz zahlreicher krimineller Initiativen an Geld kommen, um sich Flashback kaufen zu können. Natürlich existiert ein interessanter Schwarzmarkt, aber wie Bottoms Liebe zu alten Filmen wirkt Manches aus der Pflicht denn einer plottechnischen Überzeugung heraus konstruiert.
Hinzu kommen unter anderem mit Bottoms Sohn Val und seinem Schwiegervater zwei durchwachsene Charaktere. Simmons nutzt sie gut, um den sozialen Verfall der USA mit einem kontinuierlichen Überlebenskampf zu beschreiben. Er überspannt den Bogen, indem er Val zum Mitglied einer kriminellen Gang macht, die sich ohne Vals aktive Beteiligung an Massenvergewaltigungen beteiligen und schließlich ohne eine wirklich überzeugende Begründung einen politischen Anschlag organisieren.
Während Bottoms Frau Dara in den Flashbacks eher ein Schatten ist, agieren die japanischen Bonzen genauso so, wie sie in Filmen wie „Die Wiege der Sonne“ eindimensional und klischeehaft beschrieben werden. Die Kleinganoven und Opportunisten, welche Bottom während seiner Recherchen an exotischen Orten wie einem gigantischen Freiluftgefängnis in einem ehemaligen Footballstadion verhören muss, sind da deutlich exzentrischer, aber auch interessanter gezeichnet. Wie Bottom über weite Strecken der ersten Hälfte des Buches eine Besessenheit fehlt, wirken die wichtigsten relevanten Protagonisten teilweise im Vergleich zum klassischen Bild einer Dystopie zu sehr verschiedene Lager vertretend als „natürlich“ erschaffen.
Simmons fehlt der Mut, gegen den Strich zu bürsten und manche Kante, die Bottom während seiner Ermittlung reißt, wird in der finalen Konfrontation in Agatha-Christie-Tradition für den aufmerksamen Leser fast frustrierend positiv geglättet. Ganz abschreiben wollte Simmons sein Heimatland augenscheinlich nicht, auch wenn die Rettung aus dem erzkonservativen und sich bislang vom Rest der USA abgeschotteten Texas kommt. Ob es sich dabei um eine satirische Spitze insbesondere gegenüber den bisher aus Texas in jüngster Zeit gekommenen Präsidenten und ihren katastrophalen politischen Entscheidungen handelt, muss der Leser für sich selbst abwägen.
Zusammengefasst ist „Flashback“ immer noch solide Unterhaltung. Dan Simmons ist ein guter Autor, der auch altbekannte Geschichten zumindest überzeugend erzählen kann, aber die grundsätzlich wenig innovative Idee wird mit einer Mischung aus futuristischem „Stirb langsam“ – so gibt es eine Exkursion in die nähere Umgebung von Los Angeles, die eher an die ebenfalls von Simmons erwähnten „Mad Max“Filme mit einem Hauch High Tech Adventure erinnert – und melancholischen Hardboiled-Ton erzählt. Es fehlen wirklich neue Ideen, irgendwie erscheint „Flashback“ eher aus einem sehr breiten Spektrum von einzelnen Facetten wie „Matrix“ oder „Dark City“. Es fehlt dem Autor der Mut, die Handlung konsequenter zu Ende zu bringen, zudem gibt es zu viele Klischees des Hardboiled-Genres der 70er Jahre mit einem im Grunde abgeschriebenen und durch seine Drogensucht nicht mehr fähigen Detektiv, der sich natürlich in seinen letzten Fall verbeißt und dank des persönlichen Engagements wieder zu einem drogenfreien Menschen mit einer Zukunft wird, die stilistisch/erzähltechnisch allerdings kurzweilig unterhaltsam zusammengesetzt worden sind.
In Bezug auf die extremen politischen Positionen greift Simmons im Laufe des Romans im Grunde alle Fraktionen und Machtblöcke bis auf die scheinbar nicht mehr existenten Russen an. Daher kann von einer politischen Provokation sowohl gegenüber dem sich aggressiv ausbreitenden Islam und dessen archaischem Weltbild genauso wenig die Rede sein wie gegen die lang geplante Rache der Japaner für die Atombombenabwürfe und den verlorenen Zweiten Weltkrieg.
„Flashback“ ist politisch nicht ambitioniert genug gestaltet, um wirklich pointierte Angriffsfläche zu bieten. Zu breit ist der Pinsel, den Dan Simmons in diesem insbesondere für seine Fähigkeiten eher durchschnittlichen Roman sowohl hintergrund- – der trotzdem herausragt – als auch plottechnisch schwingt.