C. J. Tudor: Die Villa der verlorenen Seelen (Buch)

C. J. Tudor
Die Villa der verlorenen Seelen
(A Sliver of Darkness, 2022)
Übersetzung: Marcus Ingendaay
Goldmann, 2025, Taschenbuch, 364 Seiten, 14,00 EUR

Rezension von Gunther Barnewald

Das vorliegende Taschenbuch enthält elf Kurzgeschichten beziehungsweise Novellen der britischen Bestseller-Autorin. Diese sind zwischen etwas mehr als 10 Seiten bis knapp 60 Seiten lang.

Alle sind unterhaltsam und spannend geschrieben, leider erscheint die eine oder andere etwas zu blutig oder manchmal auch nicht übermäßig originell. Dies wird aber mehr als wettgemacht von jenen Erzählungen, denen eine gute Idee zugrundeliegt und in denen die gruselige Atmosphäre sorgsam und geschickt entwickelt wird von der Autorin.

Jede Geschichte ist mit einem kurzen, einführenden Vorwort Tudors versehen, in dem diese meistenteils erzählt, wie sie auf die Idee zu der jeweiligen Erzählung gekommen ist.


Das Buch startet mit einer der besten Geschichten in diesem Band. In „Traumziele“ wird von einer älteren Frau berichtet, die sich scheinbar auf einer ganz normalen Kreuzfahrt befindet. So nach und nach erfährt der Leser jedoch, dass die Protagonistin schon seit Jahrzehnten an Bord ist und ihr aus Altersgründen bald die Beseitigung droht. An Land scheint irgendeine Katastrophe schon vor Jahrzehnten passiert zu sein, der Mann der alten Frau wurde schon vor längerer Zeit an Bord getötet und die Tochter scheint vom Schiff verschwunden zu sein. Dann taucht eine Fremde an Bord auf, die sich sehr für die alte Frau interessiert...

Ähnlich gelungen ist die Titelgeschichte, in der eine etwa 50jährige Frau sich in einem seltsamen Hotel auf den Kanarischen Inseln befindet. Doch die Anlage scheint merkwürdig menschenleer und auch marode zu sein, überall macht sich Saharastaub breit und die Frau entdeckt immer mehr Menschen aus ihrem früheren Leben, unter anderem ihre toten Eltern. Zum Schluss erfährt der Leser dann, was sich wirklich zugetragen hat im Leben jener Frau, die gar nicht so normal oder nett ist, wie man anfangs zu glauben meint...

In „Butterly Island“ fliehen einige Menschen vor der großen Katastrophe. Doch die idyllische Insel, die sie ansteuern, ist alles andere als schön oder gar friedlich...
Leider hat diese Erzählung das große Manko, dass sie viel zu früh und quasi mitten in der eigentlichen Handlung allzu abrupt abbricht, was sehr schade ist, denn bis dahin wirkt sie sehr überzeugend und furchterregend.

Auch „Letzter Gang“ ist eine jener Geschichten, in der das Grauen sich immer näher an den Leser heranzuschleichen scheint.
In naher Zukunft hat sich das Sonnenlicht seltsam verdunkelt und unheimliche, bedrohliche Wesen treiben sich auf der Erde herum, welche Menschen fressen. Der Protagonist flieht mit seiner blinden Tochter auf den angeblichen Herrensitz eines ehemaligen reichen Bekannten von früher. Während sich dort die ehemaligen Freunde treffen, verspricht der vermeintliche Besitzer, alle wären hier sicher vor der Bedrohung. Doch nach und nach wird eine Sicherheit nach der anderen für die Besucher abgeräumt und die Bedrohung steht nicht nur vor der Tür.
Den allerletzten Twist der Geschichte dürfte dann aber kaum ein Leser vorhersehen, denn... na ja, so viel soll hier nicht verraten werden. Ein wahrlich herrlich fieses Ende!

Andere Geschichte wiederum folgen zu sehr vorgegebenen Klischees (so dringen großmäulige Jugendliche in „Der Block“ in ein mysteriöses, verfallendes Hochhaus ein, um dort den blanken Horror zu erleben; leider hat die Autorin hierzu keine wirklich innovativen Ideen) oder sind einfach dermaßen grausam und brutal („Gloria“), dass auch die interessante Protagonistin die Story nicht wirklich herausreißt (beziehungsweise wirklich nur für Splatter-Fans interessant macht). Dann doch eher die liebenswerte und relativ unblutige Story

„Der Copyshop“, die immerhin eine wunderbare Grundidee hat, auch wenn die Autorin hier leider das Potenzial der Geschichte nicht voll ausschöpft. Aber ein Copyshop, in dem der Betreiber wirklich „alles“ Materielle (auch Lebewesen!) kopieren kann (auch wenn das Grundmodell dabei zerstört wird), lässt natürlich viel Raum für spleenige Ideen...

Und während „Vertragsabschluss“ und vor allem „Ich bin nicht Ted“ schnell wieder vergessen sind, haben „Der Löwe am Tor“ und auch die sehr atmosphärische Geschichte „Herzblues“ durchaus ihre guten Momente.


Insgesamt eine lobens- und empfehlenswerte Sammlung von Grusel-Geschichten, die sich hinter einem Vorbild wie Stephen King (von der Autorin auch explizit in den Vorworten genannt) nicht zu verstecken braucht. Stünde auf dem Cover dessen Name, würde wohl kaum ein Leser Einspruch erheben.

Also: Wer dessen Horror-Geschichten schätzt, der begeht keinen Fehler, sich auch dieses gelungene Buch zuzulegen, wobei vor allem die Titelgeschichte und die Novelle „Traumziele“ herausragend sind.