Die Welt von Thorgal 1: Ich vergesse nichts! (Comic)

Die Welt von Thorgal 1
Ich vergesse nichts!
(Thorgal – Les Mondes De Thorgal Vol. 1 Kriss de Valnor: Je N'Oublie Rien!)
Text: Yves Sente
Zeichnungen: Giulio de Vita
Cover: Grzegorz Rosinski
Übersetzung: Monja Reichert
Splitter, 2011, Hardcover, 80 Seiten, 15,80, EUR, ISBN 978-3-86869-378-2

Von Frank Drehmel

Vor mehr als 30 Jahren hoben der polnische Zeichner Grzegorz Rosinski und der belgische Szenarist Jean van Hamme für das Comic-Magazin „Tintin“ die vor einem nordisch-mythologischen Hintergrund angesiedelte Serie „Thorgal“ aus der Taufe. In den folgenden Jahren wuchs „Thorgal“ zu einer der langlebigsten und umsatzstärksten Fantasy-Reihen der Alten Welt heran, deren Alben ab 1980 im Original bei Le Lombard und ab 1987 in deutscher Lokalisation beim Carlsen Verlag ihre Heimat fanden.

Nach nunmehr fast 25 Jahren hat sich Carlsen aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen und aus Gründen nicht möglicher – zu teurer – Programmpflege entschlossen, die Reihe einzustellen, sodass der für das Frühjahr 2011 avisierte Band 32 der ursprünglichen Serie, „Die Schlacht von Asgard“, schon unter Splitter-Regie erscheinen wird. Zudem dürfen sich Fantasy-Freunde nicht nur auf den Reprint der 31 vorherigen Alben – selbstredend in gewohnter Splitter-Qualität – freuen, sondern auch auf die Spin-off-Reihe „Die Welt von Thorgal“, zu der auch das vorliegende Album gehört, welches sich als erstes in einer Reihe weiterer „Kriss de Valnor“-Abenteuer um die Jugendjahre der tödlichen Kriegerin rankt, die in einer Art Hass-Liebe dem Helden Thorgal verbunden ist.

Um Thorgal und seiner Familie die Flucht aus der Sklaverei zu ermöglichen (vgl. „Thorgal“ 28, „Kriss de Valnor“; dt. „Alte Feindin“), war Kriss bereit, ihr Leben zu opfern, und steht nun vor dem Gericht der Walküren, auf dass sie Rechenschaft über ihre Vergangenheit ablege. Die Göttin Freya will darüber befinden, ob der Kriegerin, die noch nicht wirklich tot ist, die Tore Walhallas offen stehen, oder ob sie in die eisigen Nebel von Niflheim verbannt werden muss. Also beginnt Kriss de Valnor vor dem Thron der Göttin, ihr Leben Revue passieren zu lassen.

Schon als Kind muss sie die Grausamkeit der Menschen am eigenen Leib miterleben: geschändet und zur Sklaverei verdammt, kann das Mädchen nur durch Mord ihren Peinigern entkommen und begegnet auf seiner Flucht Sigwald den Verbrannten, einem ehemaligen Gaukler, dem das Schicksal ebenfalls übel mitspielte.

Die beiden Ausgestoßenen freunden sich rasch an und beschließen, Sigwalds Tochter, Arlane, gemeinsam aus der Gewalt der sadistischen, missgestalteten „Infantin“ Opale, ihres Zeichens Tochter des Barons Alhard, zu retten. Zu diesem Zweck begeben sich die beiden als Gaukler verkleidet in die Burg des Edelmannes, wo Kriss rasch Kontakt zu Opale sucht, um ihr, indem sie ihr Freundschaft vorspielt, den Aufenthaltsort Arlanes zu entlocken. Zwar ist der Plan zunächst von Erfolg gekrönt, da es Kriss tatsächlich gelingt, die Tochter Sigwalds zu befreien, doch auf ihrer Flucht wird Arlane durch Opale schwerverwundet.

Zweifellos gehört Kriss de Valnor zu den stärksten und charismatischsten Figuren des Thorgal-Universum, sodass die Überlegungen, ihr eine eigene (Mini)-Serie im Rahmen des Spin offs zu spendieren, durchaus nachvollziehbar sind. Das Problem des Einpassens der Story in die Serien-Kontinuität hat der Autor, Yves Sente, elegant gelöst, indem er die Rahmenhandlung um das Gericht der Wallküren nach Kriss' vermeintlichen Tod spielen lässt und ihr Leben beziehungsweise zum Teil auch das Sigwalds in Rückblenden erzählt.

Inhaltlich gehört die Geschichte sicherlich zu den eher härteren Thorgal-Storys, angefangen bei der angedeuteten Vergewaltigung eines Kindes bis hin zur finalen Auseinandersetzung zwischen Kriss und Opale, die tiefe Einblicke in die Seele der erwachsenen Kriegerin vorwegnimmt. Stimmigkeit ist das eine, Dynamik und Spannung das andere. Glücklicherweise überzeugt Sentes Story auch in dieser Hinsicht, wobei allerdings zuweilen eine gewisse Klischeehaftigkeit Raum greift, die der emotionalen Bindung des Lesers zur Hauptprotagonistin keinen Abbruch tut.

An der künstlerischen und insbesondere zeichnerischen Umsetzung lässt sich nur wenig aussetzen. Abgesehen von einer ab und an erkennbaren leichten Uneinheitlichkeit im Zeichenduktus, in der Strichstärke bietet uns de Vita mit seinem rauen, eher skizzenhaften Ansatz und seinem schnellen aber durchaus hinreichend detaillierten Strich eine atmosphärisch stimmige Visualisierung einer harten Geschichte in einer rohen Welt.

Fazit: Inhaltlich spannend, dynamisch, informativ – wenn auch nicht in jeder Hinsicht originell -; grafisch äußerst gefällig und stimmig. Für jeden Thorgal-Fan ein absolutes Muss, nicht zuletzt weil Kriss de Valnor jede Red Sonja und jede Schwarze Barbara locker in die Tasche steckt.