James Alistair Henry: Pagans - Ein Killer, zwei Cops, hunderte Götter (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 30. August 2025 17:43

James Alistair Henry
Pagans - Ein Killer, zwei Cops, hunderte Götter
(Pagans, 2024)
Übersetzung: Dietmar Schmidt
Lübbe, 2025, Hardcover, 476 Seiten, 22,00 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Europa das unterentwickelte Armenhaus und Großbritannien der Slum der Welt sind. Der afrikanische und vorderasiatische Kontinent beherrschen Wirtschaft, Kultur und Innovationen, während die britischen Stämme weiterhin getrennt in ihren jeweiligen Stammesgebieten leben.
Erneut hat der Großkönig zu einer Konferenz geladen, auf der er beschließen möchte, dass die Länder der Sachsen, Kelten und Pikten zusammenfinden und zu einer Nation verschmelzen.
In diesem Umfeld geschieht nahe London ein Mord. Ein Angehöriger einer kleinen, unbedeutenden Sekte, deren Mitglieder sich einen Fisch als Erkennungszeichen auf die Haut tätowieren und einen Halbgott verehren, der ans Kreuz geschlagen wurde, wird auf eben diese Weise hingerichtet. An einen uralten Baum genagelt, findet man den Kelten - weit schlimmer noch, es handelt sich bei dem Opfer um einen hochrangigen Diplomaten.
Die sächsische Polizistin Aedith und ihr zur Seite gestellter keltischer Ermittler Drustan nehmen die Untersuchungen auf - und stoßen dabei auf ein Wespennest aus Beziehungen, organisiertem Verbrechen, Sklaverei, Kindesmissbrauch und handfesten wirtschaftlichen Interessen. Von den religiösen Querelen ganz zu schweigen…
Was ist dies für eine Alternativwelt-Geschichte. Das, was wir als prägendes Empire kennen und schätzen gelernt haben, ist hier zur Dritten Welt mit all den damit verbundenen Problemen geworden. Unterschiedliche Stämme mit völlig verschiedenen Religionen und Lebensweisen stoßen aufeinander; es mangelt an Bildung, sozialer Absicherung und Perspektiven. Kein Wunder, dass der entwickelte Süden die Grenzen dichtmacht und die Länder der Sachsen, Kelten und Pikten allenfalls als Absatzmarkt und Refugium für mehr oder minder freiwillige billige Arbeitskräfte betrachtet.
In dieses Bild hat der Autor seinen Kriminal-Plot eingewoben. Wie es sich für einen guten Krimi gehört, steht am Beginn ein Opfer, das - aus zunächst unbekannten Gründen - ermordet wurde.
Unsere Ermittlerin aus bestem Hause und ihr so ungleicher Partner versuchen, das Rätsel um Täter und, noch weit bedeutsamer, das Motiv zu lösen.
Nach und nach erschließt sich uns eine Welt, die so anders ist als die gewohnte. Gerade die Unterschiede zum Bekannten bereichern die Handlung zusätzlich. Mehr noch; Henry hat einiges Tagespolitische einfließen lassen. Im Finale verarbeitet er etwa den Sturm auf das Capitol in der ersten Trump-Ära und zeigt, mit welchen Mechanismen Strippenzieher im Hintergrund die Massen manipulieren und ausnutzen. Auch der alltägliche Rassismus gegenüber Menschen, die einem anderen Glauben angehören, eine andere Kultur leben oder schlicht anders - in diesem Fall weiß - aussehen, wird schonungslos dargestellt. Dass das Christentum dabei als kleine, letztlich unbedeutende Sekten-Religion erscheint, mag ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig sein, verdeutlicht jedoch ebenfalls, mit welchen Mitteln Demagogen arbeiten.
Schritt für Schritt kommen unsere Ordnungshüter aus so unterschiedlichen Kulturkreisen den Vorgängen auf die Spur. Alles wird noch größer, dramatischer, als es zunächst scheint - fast ein wenig zu viel des Guten. Doch dies ist Klagen auf hohem Niveau.
Am Ende bleibt mir die Feststellung, dass durch das Drehen der Arm-Reich-Situation eine faszinierend andere und gerade deshalb so vergleichbare Welt entsteht. In ihr entfaltet sich nicht nur ein spannender Kriminal-Plot, sondern wir bekommen zugleich einen Spiegel vorgehalten, in dem wir unsere Denkweisen, Überzeugungen und manipulativen Denkmuster hinterfragen können - oder uns schlicht packend unterhalten lassen dürfen.