Alastair Reynolds: Das Schiff der flüsternden Träume (Buch)

Alastair Reynolds
Das Schiff der flüsternden Träume
(Eversion, 2022)
Übersetzung: Thomas Salter
Heyne, 2025, Paperback, 366 Seiten, 17,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Dr. Silas Coade begegnet uns zum ersten Mal auf der „Demeter“, einem Segelschiff des 19. Jahrhunderts. Als Schiffsarzt angeheuert, begleitet er eine Expedition, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein mysteriöses „Bauwerk“ in einem engen Fjord Skandinaviens zu suchen und zu erkunden. Zwar werden sie fündig, stoßen dort jedoch auf ein havariertes Schiff, das die Fundstelle vor ihnen erreicht hat, und werden schließlich von den eisigen Springfluten eingeholt.

Das nächste Mal begegnen wir unserem wackeren Doktor samt seiner Gefährten an Bord des Zeppelins „Demeter“, der sich Jahrzehnte später im ewigen Eis Patagoniens einem verdreht wirkenden „Bauwerk“ nähert - auch hier kommt es zur Katastrophe.

Wieder einige Zeit später nähert sich das Raumschiff „Demeter“ einem Asteroiden - mitsamt dem dort befindlichen, umgestülpt wirkenden gigantischen Bau und den Überresten einer gescheiterten Vorgängermission. Auch dieser Expedition ist kein Erfolg beschieden.

Schließlich betreten unsere Forscher, unter ihnen auch Dr. Coade, auf einem Jupitermond das Bauwerk - und Silas muss sich einer unangenehmen, existenziellen Wahrheit stellen. Warum erlebt er ein ums andere Mal Expeditionen der „Demeter“ zum Bauwerk, die allesamt tragisch und mit seinem Tod enden? Und was nur ist dieses „Bauwerk“, in dem sie auf die Überreste ihrer Vorgänger stoßen?


Alastair Reynolds ist uns als versierter Verfasser packender Space Operas ein Begriff. Im vorliegenden Einzelroman entführt er uns jedoch zunächst nicht, wie gewohnt und erwartet, in die Weiten des Alls, sondern auf eine Expedition ins Ungewisse. Immer wieder erleben wir im Kern dieselbe Geschichte - die Handelnden bleiben ebenso gleich wie das tragische Ergebnis, das mit dem Ableben unseres Ich-Erzählers endet. Egal in welchem Ambiente die Crew unterwegs ist - das knarrende Segelschiff, der kupferne Zeppelin oder das Buck-Rogers-ähnliche Raumschiff -, stets bleibt die Perspektive und das Rätsel dasselbe.

Im Zentrum stehen die in ihren Wesenszügen unverändert auftretenden Figuren und die faszinierend stimmungsvoll beschriebenen Kulissen. Durch unseren Protagonisten sind wir immer mittendrin im Geschehen, erleben die Varianten der Grundhandlung, ergötzen uns am Abenteuer, an einem selten erreichten Sense of Wonder und an der seltsam furchteinflößenden Beschreibung des Bauwerks, das sich scheinbar mitten in einer Metamorphose, einer Umstülpung, befindet. Die Ausstrahlung, die von diesem gigantischen Bau - so es denn ein künstliches Gebilde ist - ausgeht, erinnert ein wenig an Lovecraft’sche Beschreibungen; etwas Fremdes, das bis zum Finale unheimlich, unerklärlich und unerfassbar bleibt. Jede einzelne der Expeditionen ist letztlich zum Scheitern verurteilt, der Erkenntnisgewinn, wenn überhaupt vorhanden, ist marginal.

Neben dem Rätsel um das Bauwerk fesselt uns das Mysterium um unseren Schiffsarzt. Warum widerfährt ihm immer wieder dieselbe Geschichte mit bekanntem Ausgang?

Zusammen mit diesem versuchen wir, den Geschehnissen auf den Grund zu gehen, herauszufinden, was sich hinter den verschachtelten Wiederholungen der Expeditionen verbirgt, wer er ist, wo sein Platz im Geschehen liegt. Die jeweils geringen Abweichungen fügen sich wie ein Puzzle nach und nach zu neuen Erkenntnissen zusammen, gleichen dunklen, flüsternden Träumen und zwingen Silas - und uns -, die scheinbare Realität zu hinterfragen, die eigene Stellung in ihr zu erkennen und letztlich eine alles verändernde Entscheidung zu treffen.

So ist dies ein Roman, der uns durch seine Abenteuer-Geschichten in die Handlung zieht, mit den wenigen Figuren fasziniert und mit ihren Schicksalen berührt.