Elizabeth Hand: Wylding Hall (Buch)

Elizabeth Hand
Wylding Hall
(Wylding Hall, 2024)
Übersetzung: Michael Plogmann
Wandler, 2025, Paperback, 190 Seiten, 22,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Es war die Zeit der ausgehenden Swingin’ Sixties, eine Ära, in der junge Bands ihre Nische im Musikbusiness suchten, Neues ausprobierten und Folk Rock sowie Acid Folk die Kassen der Plattenläden klingeln ließen.

Mittendrin Windhollow Faire, eine Band aus London, die kurzzeitig zur Ikone ihrer Zeit werden sollte. Nach ihrem Debütalbum beging die erste Sängerin Selbstmord - die Band stand kurz vor dem Zerbrechen.

Tom, ihr Manager, versuchte, ihnen Raum zu geben. Ein abgelegenes altes Herrenhaus irgendwo im Nirgendwo wurde angemietet, ein tragbares Tonstudio dorthin verfrachtet - und dann überließ Tom die Musiker ihrer Muse.

Die Band erkundete die Umgebung, stieß auf ein altes Dolmengrab, auf Sagen von Zaunkönigen und beschäftigte sich mit Musik, Drogen - und sich selbst.

In den folgenden Wochen entstanden neue Songs, inspiriert von den Grimoires der Hausbibliothek und lokalen Legenden. Schließlich wurde im Garten ein Demo aufgenommen. Bei einem Auftritt im örtlichen Pub lernte die Band eine junge Frau kennen - fast noch ein Mädchen -, die eine Ausstrahlung besaß, wie niemand sonst. In der darauffolgenden Nacht verschwand der Komponist und Leadsänger spurlos - gemeinsam mit der faszinierenden Unbekannten.

Jahrzehnte später versucht eine TV-Dokumentation, den damaligen Ereignissen auf die Spur zu kommen. Die Reporter interviewen die einst Beteiligten unabhängig voneinander - und stoßen auf auffällige Widersprüche in ihren Aussagen. Was damals wirklich geschah, bleibt offen - zumal bei Restaurierungsarbeiten ein jahrhundertealtes Grab entdeckt wird, in dem die markante Armbanduhr des verschwundenen Sängers gefunden wird…


Elizabeth Hand wurde für „Generation Loss“ mit dem Shirley Jackson Award ausgezeichnet. Wie auch in dem vorliegenden Werk bedient sie sich einer leisen, eindringlichen Sprache, nimmt uns behutsam an die Hand und lässt das Unheimliche nur langsam, unauffällig und anfangs kaum merklich in die Handlung einsickern.

Zunächst werden uns die Interview-Mitschnitte präsentiert, die nach und nach das Bild einer Band zeigen, die mit sich selbst und ihrer Kreativität experimentiert. Gebannt fügen wir aus den verschiedenen Perspektiven der Befragten ein Gesamtbild zusammen, versuchen die Dynamiken innerhalb der Gruppe zu verstehen und folgen fasziniert den Ereignissen. Gerade weil die Autorin uns die Beschreibungen aus so unterschiedlichen Blickwinkeln schildert, wirken sie so glaubwürdig und realistisch. Jeder der Beteiligten hat seine eigene Sichtweise auf die Band und das, was geschehen ist - besonders reizvoll ist es, aus diesen teils widersprüchlichen Aussagen die Wahrheit herauszufiltern.

Das Übernatürliche tritt dabei nur zögerlich und eher im Hintergrund in Erscheinung. Im Zentrum stehen die Figuren, die wir nach und nach kennenlernen - ihre Interaktionen, ihre Geheimnisse, Wünsche und Ängste.

In der sehr einfühlsamen Übersetzung von Michael Plogmann erwartet uns ein kurzer Roman, der seine Stärke in der differenzierten Zeichnung der Charaktere und in der besonderen Atmosphäre entfaltet, die zwischen ihnen entsteht. Das hat mit dem derzeit so populären, plakativen Horror wenig zu tun und überzeugt durch Tiefe, Stimmung und Charakter-Zeichnungen.

Ein faszinierendes Leseerlebnis.