Yann Sola: Tödlicher Tramontane (Hörbuch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 21. Mai 2025 07:27

Yann Sola
Tödlicher Tramontane
Syracuse Perez 1
Ungekürzte Lesung von Michael Schwarzmaier
Audible, 2016, ca. 587 Minuten, 17,95 EUR
Rezension von Elmar Huber
„Trotz kleinerer und größerer Bausünden in den Randzonen war Banjuls doch ein wunderbarer Flecken Erde. […] Besonders wenn die Sonne noch nicht zu hoch stand und alles in dieses magische Licht tauchte, für das die Côte Vermeille berühmt war. Zitrusduft überstrahlte das Potpourri der üppig blühenden Vegetation, Lavendel, Jasmin und die großen Schneeballhecken.“
Im kleinen Küstenort Banyuls-sur-Mer herrscht der Tramontane. Der hier, im Grenzland zu Spanien, von den Pyrenäen abfallende, kalte Wind steht - ähnlich wie der provenzalische Mistral - im Ruf, die Leute verrückt zu machen.
Dass „Die Deutsche“ Marianne Finken eine bunte Girlande aus Büstenhaltern aufhängt, um gegen den geplanten Hafen-Ausbau zu protestieren, von dem niemand offiziell weiß, regt dabei eher noch zum Schmunzeln an. Die Explosion einer Luxus-Yacht dagegen liefert ernsthaft Grund zur Beunruhigung.
Restaurantbesitzer, „Delikatessenimporteur“ und Genussmensch Syracuse Perez erfährt vom Besitzer der Yacht, dass eine Gruppe Schweden an Bord gewesen sein soll. Eine Tatsache, die ihn an Mariannes Äußerung erinnert, nach der es ebenfalls Schweden waren, die den umfangreichen Hafen-Ausbau planen. Sogar von einer „Côte d’Azur deux“ ist die Rede.
Als Marianne plötzlich spurlos verschwindet, vermutet Perez seine Freundin in größter Gefahr.
„Er fuhr rüber ins Catalan. Mehr Gäste als gewöhnlich standen um den Tresen herum. Schneller als irgendwo sonst konnte man sich hier auf den neuesten Stand bringen lassen. Aber auch nirgends sonst schossen die Spekulationen so sehr ins Kraut wie in dieser Enklave der Ursprünglichkeit. Jeder hier hatte etwas gehört, jeder kannte jemanden, der etwas zu wissen vorgab, jeder hatte selbst ein Gespräch belauscht, aus dem hervorging, dass es sich eventuell, vielleicht, unter Umständen um einen Anschlag gehandelt haben könnte.“
Bemerkenswert ist die Figur des eher phlegmatisch gezeichneten Syracuse Perez, bei dem sich von Beginn an das Bild von Gérard Depardieu vor das geistige Auge drängt, der sich die ansehnliche Wampe streichelt und den so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Die größte Herausforderung des Autors bestand auch vermutlich darin, diesen Gemütsmenschen irgendwie dazu zu bringen, sich für die Affäre „Hafen-Ausbau“ zu interessieren. Dass er, obwohl Mitglied des Gemeinderats, davon nichts wusste, scheint nicht ausreichend, die Masse in Bewegung zu versetzen. So wird flugs seine Vertraute, Freundin und Gelegenheitssexpartnerin Marianne entführt. Das hat für den Fall keine weitere Bedeutung, scheucht den Eigenbrötler aber aus seiner bequemen Komfortzone.
Durch seine Erkundigungen verstrickt sich Perez selbst immer mehr in den Fall, deckt immer mehr Puzzleteile auf, und sieht sich schließlich selbst von den Drahtziehern der Affäre bedroht, bei der es um Bestechung, Vetternwirtschaft und schließlich sogar um die Zukunft des kleinen Fischerdorfes geht.
Die „Ermittlungen“ führt Perez auf ganz eigene Art, indem er hauptsächlich seinem Bauchgefühl folgt. Nicht zuletzt aufgrund seines Rufs als verlässlicher Geschäftsmann, der sich jedoch selbst in harmlosen gesetzlichen Grauzonen bewegt - in Banyuls-sur-Mer wiegt das Gewohnheitsrecht bisweilen stärker als das Gesetzbuch -, gilt Perez hüben wie drüben der Gesetzesgrenze als unbedingt vertrauenswürdig und kann darum auch Kontakte anzapfen, die einem Polizisten verwehrt blieben. Was Perez‘ Delikatessen-Lieferungen angeht, drückt sogar der örtliche Notar lieber ein Auge zu, als darauf zu verzichten.
Auch Banyuls-sur-Mers neuer Polizeichef Boucher, genannt „Der Elsässer“, wandelt sich nach einem schlechten Start vom anfänglich überkorrekten Störenfried zum loyalen Mitstreiter, nachdem herauskommt, dass es sich bei seinem neuen Posten um eine Art Strafversetzung handelt und er realisiert, dass hier eigene Regeln herrschen und die ordnende Hand der Hauptstadt weit vom Grenzland zu Spanien entfernt ist.
Überdies hat sich Perez bereits einen gewissen Ruf als „Zufallsermittler“ erworben; einige zurückliegende Fälle werden erwähnt, obgleich „Tödlicher Tramontane“ tatsächlich der erste Roman mit dieser Figur ist. Im Februar 2017 folgte „Gefährliche Ernte“.
Ähnlichkeiten mit „Kommissar Dupin“, der Flaggschiffserie des KiWi-Verlags, sind vermutlich nicht zufällig. Hier wie da werden gute Teile der Romane darauf verwendet, die einzigartige Landschaft und die vorzügliche regionale Küche zu feiern. Auch die lokale Historie kommt nicht zu kurz. Ist es wirklich Zufall, dass KiWi mit Yann Sola plötzlich einen weiteren deutschen Frankreich-Krimi-Autor im Programm hat, der unter Pseudonym schreibt? Auf jeden Fall lässt sich mit dem ersten Abenteuer von Syracuse Perez sehr gut die „Dupin“-lose Zeit überbrücken.
Das Hörbuch: Schnell gewöhnt man sich an die leicht näselnde Stimme von Schauspieler und Synchronsprecher Michael Schwarzmaier, der den Roman angenehm sauber und mit unaufdringlichem Verve interpretiert. Mit dezenten Anpassungen von Stimme und Sprachmuster macht er einzelne Personen sehr gut unterscheidbar. So legt er seinen Perez etwas tiefer und liebenswert schnoddrig-grantig an, Marianne dagegen in der Tonhöhe leicht über seiner Normalstimme. Darüberhinaus hat er einige Schauspieltricks in petto, Eigenheiten und sprachliche Ticks, mit denen er zum Beispiel den schmierig-jovialen Bürgermeister versieht, der ob massiver Erklärungsnöte öfter mal ins Stocken gerät. So ist dies wieder ein sehr schönes Beispiel dafür, dass Audible auch bei exklusiven Eigenproduktionen auf erstklassige und passende Sprecher setzt. Sehr gut!
„Tödlicher Tramontane“ ist ein „leichter“ Frankreich-Krimi mit einem ungewöhnlichen Ermittler; souverän geschrieben und mit viel Lokalkolorit versetzt. Fans von Verlagskollege „Georges Dupin“ können blind zugreifen.