Genoveva Dimova: Tage einer Hexe (Buch)

Genoveva Dimova
Tage einer Hexe
(The Witch‘s Compendium of Monsters 1: Foul Days, 2024)
Übersetzung: Wieland Freund & Andrea Wandel
Hobbit Presse, 2024, Hardcover, 460 Seiten, 25,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Einst war es eine einzige, große Stadt. Dann kamen, wie immer zum Jahreswechsel, die Monster, Dämonen und Geister - und einige findige Magier trennten die Stadt. Auf der einen Seite der an einem Tag magisch errichteten Mauer befinden sich die Reichen, die Glücklichen, die, die es verdient haben in Ruhe und Frieden zu leben - meinen sie selbst zumindest.

Die aber, die in der hermetisch abgeschlossenen Stadt Chernograd leben, die haben die berühmt-berüchtigte A-Karte gezogen. In jeder Neujahrsnacht beginnt es pünktlich mit dem Glockenschlag: Da sinken die Monster für 12 Tage und Nächte auf die ummauerte Stadt herab, suchen deren zumeist hilflosen Bewohner heim. Der Bund der Hexen und Hexenmeister hat wie immer rechtzeitig vor den Schmutzigen Tagen seinen Leitfaden zur Bekämpfung der unheimlichen Heimsuchung versandt - wie üblich, ohne großes Ergebnis. Die Bewohner vertrauen lieber auf Bannsprüche, als selbst Espenpfähle zu schnitzen und heiliges Wasser zu destillieren.

Kosara lebt genau hier. Einmal hatte sie schon das Geld für einen Schleuser beisammen, wollte auf die andere Seite der Mauer überwechseln - ihr damaliger Partner hat sie beklaut, für sich selbst die Karte in die Freiheit gelöst… unsere Hexe blieb zurück.

Jetzt ist Zmey, das mächtigste der Monster, wieder auf ihrer Spur - hat sie von diesem im Vorjahr doch eine Haarlocke ergaunert, was beim Herrn aller Monster nicht wirklich gut ankam. Die einzige Möglichkeit, dem ziemlich miesgelaunten Drachen in Menschengestalt zu entkommen ist, einem Unbekannten ihren magischen Schatten zu verkaufen - gesagt, getan und schon findet sie sich in Belograd wieder.

Ohne ihren Schatten aber, das weiß sie, wird sie innerhalb einiger Monde dahinsiechen und letztlich ohne ihre Gabe elendig verrecken. Heißt: ihr Schatten muss wieder her - und schon hat sie sich neue Schwierigkeiten eingehandelt - letztere großgeschrieben.

Zwar stößt sie auf den Mann, der ihr ihren Schatten abgeluchst hat, nur ist selbiger gerade unpässlich - so wie in mausetot. Zusammen mit einem Ermittler macht sie sich an die Aufklärung des Verbrechens - was unser so gar nicht zueinander passende Duo wieder auf die Schattenseite des Lebens, sprich Chernograd führt.

Hier kommen sie dann dem eigentlichen Strippenzieher hinter dem Diebstahl und Mord schnell auf die Fährte - dumm dabei, dass es sich beim Schuldigen um jemanden handelt, der zum einen unheimlich mächtig, zum anderen skrupellos ist - schlechte Karten für unser Team…


Was ist dies für ein Buch - der erste Teil einer Dilogie - den uns die Hobbit Presse hier anbietet? Ein Urban-Fantasy-Roman, der uns eine Welt, genauer eine geteilte Stadt vorstellt. Hier Luxus, Wärme, Sicherheit, Reichtum und Technologie - dort Kälte, Armut, Not und Heimsuchung.

In dieser Welt gibt es Magie, die von Hexern und Hexen ausgeübt wird, und Heimsuchungen der besonderen, weil gefährlich-übernatürlichen Art. Letztere hat die Verfasserin, die selbst in Bulgarien geboren wurde, hauptsächlich der slawischen Mythologie entlehnt. Soweit die Basics.

Da ich den Geschmack von Lektor und Herausgeber Stefan Askani kenne und schätze, machte ich mich mit Interesse an die Lektüre. Zu Beginn erwartete mich ein Plot, der sehr dem Bekannten verhaftet ist. Ich gebe zu, dass ich versucht war, den Band nach gut 50 Seiten zuzuklappen - zum Glück habe ich meine Lektüre dann doch fortgesetzt, wurde selbige dann doch immer besser.

Dimova macht das recht geschickt: In ihre Handlung, die bestens zur dunklen, kalten Jahreszeit passt, inkludiert sie durchaus ernstzunehmende Themen. Da geht es um Wohlstandsmigration, um Vorurteile gegenüber Fremden (wenn auch „nur“ von jenseits der Mauer, die zunächst einmal in Quarantäne müssen, bevor sie die Arbeitsplätze, die sowieso keiner will, „an sich reißen“), um Verantwortung und Mut.

Angetrieben wird unsere Erzählerin vordergründig durch ihren verzweifelten Versuch, ihren Schatten zurückzuerlangen. Daneben aber motiviert sie ein einfaches Gefühl: Rache zu nehmen für erlittenes Unrecht, für einen Verlust, der nicht hätte sein müssen, für die Fremdbestimmung und Ausnutzung ihrer Person.

Dass sich hinter jeder Figur, die sie zu kennen glaubte, weit mehr verbirgt, Geheimnisse der oftmals nicht schönen Art zum Vorschein kommen, macht die Lektüre so spannend.

Kosara hält sich selbst für schwach, für einen Feigling, ja einen Scharlatan, wird von ihren Schuldgefühlen im wahrsten Sinne des Wortes heimgesucht. Hier muss sie einen gewissen, mühsamen Reifeprozess durchmachen, muss sich selbst akzeptieren, sich auch vergeben und in ihrem Inneren die Kraft suchen und finden, ihr enormes Potential auszuschöpfen.

Dass sie am Ende des ersten Teiles - in Großbritannien erscheint dieser Tage der abschließende zweite Band, der im Frühjahrsprogramm von Klett-Cotta noch nicht angekündigt ist - einen kleinen, nein ich bin ehrlich, einen so nicht vorhersehbaren Triumph erreicht, steht auf der Haben-Seite, dass ihre zwei größten und fiesesten Gegner noch im Spiel sind, im Soll.

So ist dies ein eigeständiger Urban-Fantasy-Roman, der weitgehend ohne große Romantik auskommt, unauffällig wichtige Themen anspricht und dabei mit den ungewohnten Übernatürlichen zu faszinieren weiß.