Nova - Magazin für spekulative Literatur 33 (Magazin)

Nova - Magazin für spekulative Literatur 33
Titelbild: Oliver Engelhard
p.machinery, 2023, Paperback, 214 Seiten, 17,90 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

„Adios, es war schön mit dir“, so könnte man die aktuelle Ausgabe von „Nova“ überschreiben. Mit Michael K. Iwoleit verlässt nach Helmuth W. Mommers und Ronald M. Hahn das letzte Gründungsmitglied des 2002 ins Leben gerufenen Magazins das Redaktionsteam. Er wird weiterhin die Gast-Story-Rubrik betreuen und auch die Einleitungen zu den einzelnen erzählerischen Texten in gewohnter pointierter, intelligenter Manier verfassen. Die Textredaktion liegt ab der nächsten Nummer in den bewährten Händen von Marianne Labisch.

So gilt es, Danke zu sagen für eine aufopfernde, wenig gewürdigte Tätigkeit, die uns Lesern Geschichten präsentierte, die besonders waren. Inhaltlich überraschend anders, sprachlich ansprechend, erwartete uns in „Nova“ immer jede Menge faszinierendes Lesefutter.

Dies vorausgeschickt zum Inhalt: Wiederum haben es sich die Verantwortlichen nicht leicht gemacht. Sie haben viele Zusendungen begutachtet, gelesen, kontrovers diskutiert und schlussendlich für die Publikation ausgewählt.


Thomas Grüters „Freie Wildbahn“ besticht durch eine etwas andere als die gewohnte Sichtweise. Hier beobachten tentakelbewehrte Aliens eine offensichtlich nicht intelligente Spezies auf freier Wildbahn. Die Skelettwesen, deren Gehirn - undenkbar eigentlich! - in dieses limitierte, knöcherne Gehäuse eingesperrt ist, werden aus einem sorgfältig verborgenen Unterstand abseits der Ansammlungen der Forschungsobjekte beobachtet - bis es zu einem unglücklichen Unfall kommt und die Entdeckung durch die Wilden droht.

Das Sonnensystem ist ein faszinierender Ort, der den neugierigen Erdbewohnern noch reichlich Terra incognita bereithält. Die äußeren Planeten sind noch immer nicht erforscht. In J. A. Hagens „Yuggoth“ dringt ein Forschungsraumschiff zum Pluto vor - und stößt dort nicht nur auf die Trümmer der ersten Expedition, sondern auch auf unter der Oberfläche verborgene Bauwerke mit gar merkwürdig verstörenden Winkeln; dies alles wird nebensächlich, als…

Anke Hüper entführt uns in „Außerirdische Daten“ in die Welt der Gamer. Eine Gamerin schafft es unter Anleitung ihres Gegenspielers, immer neue Entwicklungshöhen und Fähigkeiten zu meistern - im Game; und wie sieht es im Leben aus?

Karsten Kruschels „Kurz nach dem Einmarsch der Befreiungsarmee“ zeigt uns eine Kultur, die seit 26.000 Jahren existiert. Vor einigen Jahren gingen die Gründerväter eine Allianz mit den Menschen ein - jetzt ist eine Befreiungsarmee unterwegs, um Rebellen, oder zumindest diejenigen, die dafür gehalten werden, zu befreien; dauerhaft, wie in „danach sind sie tot“. Und der Hausmeister soll nicht nur unliebsame Denkmäler an andere Zeiten zerstören, er soll auch eine uralte Maschine abschalten - eine Maschine, die nicht ohne Grund die ganzen Jahrtausende über eingeschaltet war.

Willkommen auf Terranova, der menschlichen Kolonie außerhalb des Sonnensystems. Leider hat auch hier, in Dieter Riekens „Jonas und der Held Terranovas“, die Menschheit ihre Probleme und Ressentiments mit eingepackt: Die Gesellschaft, die sich aus den wenigen Überlebenden des Raumflugs entwickelt, hat den Rassismus auch unter einer fremden Sonne wieder aufleben lassen - sehr zum Leidwesen des einzigen Überlebenden der ursprünglichen Crew.

In dem pointiert kurzen Beitrag von Glen Sedis „Kobo, das Wunschkind“ stellt dieser uns eine Zukunft vor, wie man sie sich wahrlich nicht wünscht: Kinder werden aus dem Katalog bestellt, bei Nichtgefallen oder Trennung können diese, da sie ja keine empfindungsfähigen Wesen sein sollen, einfach zurückgegeben werden. Was aber, wenn die Kinder sehr wohl zu Empfindungen fähig sind?

Lukas Schneider präsentiert uns in „Alina“ ein nicht ganz unwahrscheinliches zukünftiges Smart-Home - ein Haus, in dem die KI Alina dafür sorgt, dass es warm ist, dass der Kühlschrank gefüllt, die Lichter an und aus gemacht werden - Sie haben das Bild im Kopf? Was aber, wenn Alina grundlegende Höflichkeiten ihres Herren und Meister einfordert?

Rafael Torra entführt uns in „Die Spinne“ in einen Military-SF-Plot. Eine Kommando-Einheit ist auf einem Planeten gelandet, soll dort die letzten Widerstandsnester ausheben - und bekommt tödliche Probleme, als ihre elektronischen Systeme und KIs rätselhafte Fehlfunktionen offenbaren.

Erik Wunderlichs „Unearthing“ stellt uns einmal mehr eine interstellare Expedition vor. Als diese von einem Mini-Meteoriten getroffen und verseucht wird, bleiben nur zwei von der Besatzung von der Inkubation verschont: ein Mensch und die KI - wobei Ersterer in der Folge starke psychische Auffälligkeiten an den Tag legt; hier ist ein Therapeut gefragt, die KI wird’s schon richten…

Álex Souzas „Unsichtbare Körper“ thematisiert die Mega-Citys der nahen Zukunft. In den von unzähligen Menschen bewohnten, riesigen Blocks sterben immer wieder Menschen - Menschen, die allein waren, um die sich niemand kümmerte. Hier hilft, auf freiwilliger Basis, die Kirche: Sie sammelt die oftmals verwesten Leichen ein und bestattet sie würdig. Doch manches Mal stoßen die kirchlichen Helfer auf Orte, in denen die Verblichenen schon lange, viel zu lange vor sich hin modern.

Im Sekundärteil - vorliegend leider nur ein Artikel - erwartet uns mit Tanine Allisons „Woran man einen Kriegsfilm erkennt. Der zeitgenössische Science-Fiction-Blockbuster als militärischer Rekrutierungsfilm“ eine fast schon wissenschaftliche Abhandlung. In erschreckender Weise macht der Verfasser deutlich, wie insbesondere das US-Militär über die zur Verfügungstellung von Drehplätzen, Waffen und Komparsen auf die modernen Action-Blockbuster Einfluss nimmt und dafür sorgt, dass Kriege der Gott gegebenen Nation immer als etwas klinisch Reines, Heroisches und Gerechtfertigtes dargestellt wird. Nicht umsonst konnten die Rekrutierungszahlen nach jedem dieser Filme deutlich nach oben geschraubt werden.


Welche der Beiträge haben mich nun besonders angesprochen und berührt? Zunächst ist es den Herausgebern wiederum gelungen, eine sehr abwechslungsreiche, handwerklich bestechende Auswahl an Storys zusammenzustellen. Glen Sedis „Kobo“ hat mich ob seiner erschreckenden Vorstellbarkeit besonders berührt, ja schockiert. Gerade weil die Idee hinter der Erzählung so realitätsnah erscheint - Stichwort hier, wie wir mit unseren zu Weihnachten verschenkten Haustieren umgehen -, hat mich die aus dem Text sprechende Traurigkeit, die Verlorenheit des künstlichen Kindes mit Trauer, Wehmut und Wut erfüllt - wahrlich nicht das Schlechteste, was man über eine Geschichte sagen kann.

Daneben haben Karsten Kruschel mit seiner mit aktuellen Bezügen aufweisenden Geschichte des „gerechten“ Kampfes gegen Widerständler sowie J. A. Hagen mit seiner Explorer-Story mir ob seiner Atmosphäre sehr gut gefallen.

Es bleibt beim Fazit: „Nova“ bietet herausragende SF-Geschichten, die die Lektüre jederzeit für uns Leser wertvoll und bereichernd machen.