Faust – Der Tragödie erster Teil (Comic)

Flix
Faust – Der Tragödie erster Teil
Mit einem Vorwort von Andreas Platthaus
Titelillustration und Zeichnungen von Flix
Carlsen, 2010, Hardcover, 96 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-551-78977-8

Von Irene Salzmann

Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht im Laufe seiner Schulzeit Goethes „Faust“ gelesen hat. Die Geschichte ist bekannt: Mephisto versucht, Faust zu verführen, der Preis ist dessen Seele. Der junge Gelehrte widersteht allen Verlockungen, bis er Gretchen kennenlernt und nun an irdischen Freuden teilhaben möchte. Die Tragödie nimmt ihren Lauf.

Und das tut sie auch bei Flix‘ Comic-Adaption, die die Geschehnisse ins Berlin der Gegenwart verlegt und den Hintergrund der Hauptfiguren entsprechend modifiziert. So ist Faust ein ‚ewiger‘ Student und Taxifahrer, der Probleme mit seinen Mitmenschen und keine Freundin hat. Gretchen entpuppt sich als Migrantin, die sich von ihrem streng muslimischen Elternhaus zu lösen und in Deutschland zu integrieren versucht. Mephistopheles wiederum macht sich als eloquenter Lebensberater an sein gutgläubiges Opfer heran. Dabei wirkt er sympathischer als sein Gegenspieler Gott, denn, obgleich es um eine banale Wette zwischen beiden geht – um eine Kiste Ramazotti und nicht um Fausts Seele –, ist es Letzterer, der immer wieder zu unfairen Mitteln greift und jene, die seine Pläne stören, mal eben durch einen Herzinfarkt aus dem Weg räumt.

Flix parodiert nicht nur Goethes „Faust“ und bekannte Motive der Pop-Kultur (beispielsweise durch eine Anspielung auf das „Dschungelbuch“), er karikiert außerdem das Milieu der unteren sozialen Schichten und stellt die Götter auf eine Stufe mit Gamern, die mit ihren Schöpfungen am PC spielen, jede Menge Spaß an den Katastrophen haben, die sie auslösen, und gar nicht daran denken, welches Leid ‚reale‘ Wesen in solchen Situationen erfahren würden. Wer intelligenten, anarchischen Humor mag, wird aus dem Lachen kaum herauskommen und immer wieder denken: Genau so ist es! Betrachtet man dagegen Flix‘ Parodie als einen Angriff auf einen Klassiker der deutschen Literatur und die Religion, wird man der Lektüre wenig abgewinnen können. Ein Zwischendrin gibt es nicht, sondern nur Begeisterung oder Ablehnung.

Die Illustrationen sind cartoonhaft und unterstreichen durch die Reduzierung auf das Wesentliche die Charakteristika der Figuren und ihres Umfelds; durch die Abstrahierung lassen sich die Konflikte verallgemeinern und auf die entsprechenden Gruppen übertragen. Die Gestaltung des Einbands der Graphic-Novel lehnt sich an die Optik der Reclam-Hefte an: gelbes Cover und Backcover, schlichte schwarze Schrift mit einem gleich farbigem Balken, ein kleines Motiv in der Ecke. Und man kann in dem Comic noch so viele amüsante Veräppelungen mehr entdecken...

„Faust“ erschien 2009 als Fortsetzungs-Comic in der „FAZ“ und liegt nun komplett inklusive einiger Extras in Buchform bei Carlsen vor – als absolut durchdachtes Werk. Ein toller Band für die Freunde niveauvoller Comics und des anarchischen Humors!