Brenna Yovanoff: Schweigt still die Nacht (Buch)

Brenna Yovanoff
Schweigt still die Nacht
(The Replacement)
Aus dem Englischen übersetzt von Jessika Komina & Sandra Knuffinke
Titelillustration von Natalie Sousa und Jonathan Barket
Script 5, 2011, Hardcover, 368 Seiten, 17,95 EUR, ISBN 978-3-38390-0127-1

Von Carsten Kuhr

Willkommen in Gentry, einer kleinen Stadt, die in der Vergangenheit scheinbar das Glück für sich gepachtet hatte. Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Depression – dies alles ging an Gentry auf den ersten Blick spurlos vorbei. Während Nachbarorte unter der Arbeitslosigkeit, Armut und Depression stöhnten, tat sich in Gentry immer wieder eine Tür in eine hoffnungsvolle Zukunft auf. Und dafür gibt es einen Grund – ein, wie kann es auch anders sein, dunkles Geheimnis.

Zu Beginn des Romans lernen wir Mackie Doyle kennen. Trotz seiner Andersartigkeit, seiner Allergie auf Eisen, Stahl und Blut lebt der Junge bei seiner Familie, geht auf die High School und führt ein relativ geregeltes Leben. Was keiner seiner Freunde weiß: Mackie ist gar nicht Mackie ist. Als Baby wurde der echte Mackie Doyle vom Schnitter aus der Wiege entführt, und ein Wechselbalg zurückgelassen. Normalerweise sterben die „Ersatzkinder“ wenig später, nur die bedingungslose Liebe eines Menschen kann ihnen, zunächst zumindest, beim Überleben helfen. Zwar geht Mackies vermeintliche Mutter, die selbst eine Geschichte mit den Entführern hat, ihm eher aus dem Weg, seine Schwester aber steht bedingungslos zu ihm.

In letzter Zeit aber geht es Mackie, aller Vorsicht zum Trotz, immer schlechter. Nur der Kontakt zu seiner wahren Familie kann ihm noch helfen. Mehr noch, einmal mehr trauert die Gemeinde, der ausgerechnet Mackies Vater als Pfarrer vorsteht, um den Tod eines Kleinkindes. Wieder einmal sind 7 fette Jahre vorbei, ein Blutopfer ist zur Auffrischung des Paktes für Wohlstand und Glück nötig. Während sich die Bevölkerung, verdrängt und verschämt mit dem unheiligen Bund abgefunden hat, sucht die Schwester des verstorbenen Kleinkindes nach Antworten – und ahnt, dass Mackie ihr mehr erzählen könnte.

Mackie steht vor einer schwierigen Entscheidung – noch wurde das entführte Kind nicht geopfert, noch wäre es, theoretisch, möglich, Tates Geschwisterchen zu retten – doch dafür müsste Mackie nicht nur in die Höhle des Löwen sondern sich auch seinen eigenen Ängsten und Dämonen stellen…

Was auf den ersten Blick wie ein weiterer der unzähligen Debütromane junger Autorinnen im Urban-Fantasy-Bereich ausschaut, das überrascht, ja ergreift seinen Leser im Verlauf der Lektüre. Zunächst lernen wir einen wahrlich ungewöhnlichen Protagonisten kennen. Mackie ist wahrlich kein strahlender Held. Immer wieder muss er sich übergeben, wird als Freak angefeindet, ausgegrenzt und gehänselt. Dazu kommt, dass es ihm gesundheitlich immer schlechter geht. Erst nach und nach wird dem Leser vermittelt, was hinter Mackies Geheimnis steckt. Als Wechselbalg eigentlich zum Sterben zurückgelassen, hat er nun wirklich nicht das große Los gezogen.

Das Buch beginnt etwas behäbig. Noch ahnt der Leser nicht, was sich hinter den Geschehnissen verbirgt, Da begegnet uns ein verzweifelter, grübelnder Mensch, der mit sich, seinem Platz in der Welt und seinem Schicksal hadert. Das ist nicht unbedingt einer Person, in deren Rolle man als Leser problemlos und gerne schlüpft, dafür aber eine umso interessantere Persönlichkeit. Was steckt nur hinter den Geschehnissen, wie wird Mackie sich mit seinem Erbe auseinandersetzen, wird er den vermeintlich einfachen Weg gehen, oder sich seiner Verantwortung stellen? Das sind die Fragen, die sich ihm wie dem Leser stellen. Geschickt lässt die Autorin hier zunächst vieles offen, zeigt die Entwicklung, die Mackie als Charakter nimmt, dezidiert auf, lässt aber auch immer wieder den nachvollziehbaren Wunsch einfließen, so zu sein, wie seine Klassenkameraden. Dieser Konflikt zwischen dem Sein und dem Wunsch ist geradezu exemplarisch herausgearbeitet worden.

Dazu gesellt sich, ab der Mitte des Buches, ein ständig sich mehr offenbarendes Bild der Gesellschaft unter dem Hügel. Das hat mit den Elfen moderner Prägung nichts, aber auch gar nichts, zu tun, das orientiert sich viel mehr an klassischen Vorbildern der Fae, die voller List, Tücke und Mitleidlos ihre Opfer den Preis des Handels zahlen lassen. Nichts ist es mit schönen Vampirkörpern, lasziver Erotik oder plakativer Gewalt, stattdessen erwartet ein dunkles, atmosphärisch dichtes Grauen den Leser, der sich angesichts der Ereignisse gruselt und mit den Personen bangt.

Insoweit ein interessantes Buch, weitab vom gängigen Trend und gerade deshalb lesenswert.