Unterm Sternenzelt (Comic)

Unterm Sternenzelt
(À coucher dehors 1 & 2, 2016)
Text: Aurélien Ducoudray
Titelbild & Zeichnungen: Anlor
Übersetzung: Swantje Baumgart
Splitter, 2017, Hardcover, 104 Seiten, 22,80 EUR

Rezension von Elmar Huber

Gerade als der Obdachlose Jean-Pierre „Amédée“ Rousseau und seine Freunde ihre Brücke im Dienst der Stadtverschönerung räumen müssen, erfährt er vom Tod seiner Tante Adeleide, die ihm ihr schmuckes Häuschen vererbt hat. Glück im Unglück und der ideale Landeplatz für Amédée und seine Freunde Prie-Dieu und Merguez. Doch an das Erbe ist eine Bedingung geknüpft: Amédée muss sich bereit erklären, die Vormundschaft für Adeleides Sohn Nicolas zu übernehmen, der die sogenannte Trisomie 21, besser bekannt als Down-Syndrom, aufweist und der ein glühender Fan des ersten Kosmonauten Juri Gagarin ist.

 

„Unterm Sternenzelt“ entstand in Zusammenarbeit mit der Stiftung Perce-Neige (Schneeglöckchen), die der Schauspieler Lino Ventura gemeinsam mit seiner Frau Mitte der 60er Jahre gründete und deren Zweck das Sammeln von Spenden für die Einrichtung von Behindertenheimen ist.

Trotz der Doppelspitze aus Obdachlosen und einem ‚Behinderten‘ ist „Unterm Sternenzelt“ kein sentimentales Rührstück geworden. Viel mehr macht Autor Aurélien Ducoudray aus dem vermeintlich schweren Stoff eine lockere und mitreißende Dramödie. Dabei wird die Ernsthaftigkeit der Situation auch nicht gänzlich umschifft oder heruntergespielt, doch auch nicht überdramatisiert. Eine Eigenart, die die Franzosen - von „Drei Männer und ein Baby“ bis „Ziemlich beste Freunde“ - meisterhaft beherrschen.

Mit Verständnis, Humor und der richtigen Portion Anarchie gelingt es der ungleichen Bande von Außenseitern, auch brenzlige Situationen zu meistern, wie etwa Nicolas‘ spontaner ‚Ausflug‘ in den Astro Parc - bei der gemeinsamen Rettungsaktion von Amédée und Nicolas‘ häuslicher Pflegerin bleibt kein Auge trocken - oder der Versuch, von der Plattform des örtlichen Wasserturms aus seinem Idol Gagarin nachzueifern. Dazwischen gibt es noch einige wohldosierte Enthüllungen, Verwicklungen und Charakter-Momente, und man erfährt, dass der brummig-cholerische Amédée eigentlich gar nicht die Verpflichtung hätte, sich um sein Mündel zu kümmern. Doch da ist Nicolas natürlich schon längst ein vollwertiger Teil dieser bunten Multikulti- und multireligiösen Gemeinschaft.

So wird dieses ‚Drama‘ mit typisch französischer Leichtigkeit serviert und trägt hoffentlich sein Scherflein dazu bei, ‚Behinderte‘ als ganz alltäglichen Teil der Gesellschaft wahrzunehmen.

Laut Verlagsinfo ist „Unterm Sternenzelt“ die erste Veröffentlichung der Zeichnerin Anlor, die hier phantastische Arbeit abgeliefert hat. Ausdrucksstark in Gestik und Mimik; die tiefen Schatten erinnern an „Bob Morane Reloaded“ (für das Aurélien Ducoudray ebenfalls als Autor tätig war), dabei typisch franko-belgische Schule. Und das Schlusspanel gemahnt tatsächlich etwas an die Feiern nach einem bestandenen Abenteuer in einem kleinen gallischen Dorf. Ganz groß!

Der Band ist ein „Splitter Double“, das heißt, es wurden zwei Originalbände zu einem abgeschlossenen Album zusammengefasst.

Kitschfrei und ohne erhobenen Zeigefinger oder falsches Mitleid präsentiert sich dieses hervorragend gezeichnete Plädoyer für Außenseiter.