Theodora Goss: Der seltsame Fall der Alchemistentochter (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 04. November 2021 19:45

Theodora Goss
Der seltsame Fall der Alchemistentochter
Die außergewöhnlichen Abenteuer des Athena-Clubs 1
The Strange Case of the Alchemist’s Daughter, 2017)
Übersetzung: Kerstin Fricke
Panini, 2021, Paperback, 432 Seiten, 17,00 EUR (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Christel Scheja
Theodora Goss wurde in Ungarn geboren. Ihre Familie lebte in verschiedenen europäischen Ländern, bis sie schließlich in die Vereinigten Staaten auswanderte. Dort studierte sie Englische Literatur und unterrichtet heute an der Boston University. Zudem begann sie auch zu schreiben und gewann mittlerweile für einige ihrer Werke auch den World Fantasy Award, den Locus Award und den Mythopoeic Award. Panini veröffentlicht nun „Der seltsame Fall der Alchemistentochter“, den ersten Band der Trilogie „Die außergewöhnlichen Abenteuer des Athena-Clubs“ um die Töchter und Geschöpfe bekannter Wissenschaftler, die moralische Grenzen überschreiten.
Nach dem Tod ihrer Mutter steht Mary Jekyll völlig mittellos da. Ihr bleibt nichts anderes, als das Personal zu entlassen, Hausrat zu verkaufen und letztendlich nach Wegen zu suchen, Geld zu verdienen.
Sie findet heraus, dass es ein geheimes Konto gibt, von dem aus regelmäßig eine gewisse Summe an eine Person namens Hyde überwiesen wird. Als sie mit der Hilfe von Sherlock Holmes und Dr. Watson der Spur nachgeht, entdeckt sie nicht nur Diana Hyde, die ihre Schwester zu sein scheint, sondern erfährt auch mehr auch über die Verstrickungen ihres Vater in dunkle Experimente und eine Geheimgesellschaft skrupelloser Wissenschaftler, die in der Tradition mittelalterlicher Alchimisten stehen. Dadurch lernt sie aber auch Beatrice Rappacini, Catherine Moreau und Justine Frankenstein kennen, die sie auf ihrer Suche nach der Wahrheit unterstützen, denn hinter den Kulissen ehrbarer Männer der Wissenschaft stecken von Grund auf verdorbene Menschen.
Theodora Goss erschlägt den Leser fast mit der Vielzahl literarischer Persönlichkeiten, die im ausgehenden 19. Jahrhundert aktiv waren, auch wenn einige von ihren würdig von ihren Töchtern vertreten werden.
Jeder, der sich ein wenig in der Schauer-Romantik auskennt, wird die Charaktere und ihre Geschichte zweifellos wiedererkennen, zitiert die Autorin doch schamlos aus Mary Shelleys „Frankenstein“, Nathaniel Hawthornes „Rappacinis Tochter“, H. G. Wells‘ „Die Insel des Dr. Moreau“ und nicht zuletzt auch aus „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson. Und das sind nicht die einzigen Figuren, die in der Trilogie auftauchen werden, denn ein gewisser Dr. van Helsing wurde auch schon erwähnt.
Geschickt macht die Autorin die Fiktion zu ihrer Wahrheit und entspinnt eine facettenreiche Geschichte, durch die auch Jack the Ripper eine etwas andere Intention bekommt. Spannenderweise sind wenigstens Sherlock Homes und Dr. Watson auf der Seite der Heldin und ihrer Freundinnen, die natürlich kaum Gelegenheit haben, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen und nach jedem Strohhalm greifen müssen.
Die Charaktere sind keine schwachen und hilflosen Frauen. Selbst Mary hat schon von Anfang an einen wachen Verstand und versucht im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu handeln. Die anderen bringen Gewitztheit, Klugheit und Wissen, aber durchaus auch Kampfkraft mit sich, denn wie man sich denken kann, geraten sie schon bald in den Fokus ihrer Gegenspieler, was die Geschichte bis zum Ende hin sehr spannend macht.
Romantische Seiten werden erst einmal völlig ausgeblendet. Das Abenteuer und die zu klärenden Geheimnisse stehen im Mittelpunkt, so dass auch Genre-Fans an den ganzen Zitaten und Andeutungen ihren Spaß haben können. Gleichzeitig bietet Theodora Goss auch einen in sich geschlossenen Kosmos, dem zu folgen wirklich Spaß macht. Allerding sollte man von den oben genannten Werken zumindest grob eine Ahnung haben, sonst ist der Spaß nur halb so groß.
„Der seltsame Fall der Alchemistentochter“ ist ein Abenteuer-Roman vor den Kulissen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der vor allem durch das Spiel mit vielen Zitaten und Figuren aus der damaligen Schauer-Romantik lebt und diese zu einem ganz eigenen spannenden Kosmos vermengt, in dem einmal mehr auch starke Frauen die Hauptpersonen sind, sich aber gut in die damalige Atmosphäre einfügen.