Chan Ho-Kei: Die zweite Schwester (Buch)

Chan Ho-Kei
Die zweite Schwester
(Second Sister, 2020)
Übersetzung: Sabine Längsfeld
Atrium, 2021, Hardcover, 600 Seiten, 25,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Christel Scheja

Der 1975 geborene Chan Ho-kei lebt bis heute in Hongkong. Er hat als Programmierer, Computerspiel-Entwickler und Manga-Lektor gearbeitet, bevor er anfing zu schreiben. Für seine Short Storys wurde er mit dem Mystery Writers of Taiwan Award ausgezeichnet, für seinen ersten Roman gewann er den wichtigsten chinesischen Krimi-Preis - und nun kommen auch die deutschen Leser in den Genuss seiner Werke durch „Die zweite Schwester“.


Das Schulmädchen Au Siu-Man begeht Selbstmord. Zunächst ist nicht klar, warum, dann aber zeigt sich, dass sie zum Opfer von brutalem Cybermobbing geworden ist, das durch Monate zurückliegenden Vorfall auf dem Weg zur Schule ausgelöst wurde.

Au Nga-Yee lässt das nicht in Ruhe und sie wendet sich mit Hilfe eines Anwalts an den mysteriösen Hacker N, der ihr helfen soll, die Wahrheit herauszufinden. Das bringt sie mehrfach an die Grenzen ihrer Kraft, denn der geheimnisvolle und auch skrupellose Spezialist führt sie in die dunklen Seiten des Internets und die dort bestehenden Möglichkeiten, Menschen zu zerstören, ein. Außerdem kommt dabei so Manches über ihre kleine Schwester ans Licht, von dem Nga-Yee nichts wusste.


Das Buch ist gleich zweifach faszinierend. Zum einen führt es in eine Gesellschaft ein, die zerrissen ist zwischen den Werten und Normen der chinesischen Gesellschaft und dem westlichen Lebenswandel, der die ehemalige Kronkolonie so lange bestimmt hat. Hongkong ist immer noch eine eigene Welt, die man nicht mit dem Rest von China vergleichen kann - und mit einer interessanten Lebensweise.

Durch die tragische Geschichte der Familie Au erfährt man mehr über die Lebensweise ganz normaler Menschen in der Stadt, ihren Kampf ums Überleben, der oft auch von Sparsamkeit und Zurückhaltung geprägt ist.

Auf der anderen Seite erfährt man durch die kundigen Beschreibungen des Autors mehr über die Schattenseiten der digitalen Vernetzung und die Möglichkeiten, die geschickte und kreative Hacker haben, um denen auf zu Schliche zu kommen, die andere mit Cybermobbing sogar in den Tod treiben können.

Dadurch entwickelt sich eine spannende Geschichte mit viel Lokalkolorit, die zeigt, wie hinterhältig und einfach es ist, jemanden in die Ecke zu treiben. Gleichzeitig baut der Autor auch noch eine interessante Nebenhandlung auf, die am Ende zu einer interessanten Wendung führt, weil ein ebenfalls aktuelles Thema angesprochen wird.

Das Buch ist flüssig geschrieben und übersetzt, es schlägt einen vollkommen in seinen Bann und weiß bis zum Ende hin zu fesseln und zu überzeugen, gerade weil man auch gewisse Personen nicht ganz einschätzen kann. Und das sorgt für genügend Spannung bis zur letzten Seite. Dabei ist die Handlung auch für westliche Leser gut zu verstehen, denn gewisse Eigenarten der fernöstlichen Gesellschaft werden immer wieder erklärt.

„Die zweite Schwester“ ist ein Top-Thriller um Cybermobbing und mehr, der durch eine vielschichtige Handlung, gute Recherchen und Erklärungen aber auch wenig einzuschätzende Personen von Anfang bis Ende spannend bleibt und nebenbei auch das moderne Hongkong westlichen Lesern auf unterhaltsame Weise näher zu bringen weiß.