Will McCarthy: Zeitflut (Buch)

Will McCarthy
Zeitflut
(Antediluvian, 2019)
Übersetzung: Norbert Stöbe
Heyne, 2021, Paperback, 448 Seiten, 14,99 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Die beiden Wissenschaftler Harv Lionel und Tara Mukherjee haben eine Methode entdeckt, über genetische Stimulation alte Erinnerungen von Vorfahren des jeweiligen Stimulierten wieder zum Leben zu erwecken. Und so lässt sich Harv auf ein gefährliches Experiment ein, denn es zeigt sich, dass die einmalige Stimulation zu immer neuen Lebenserinnerungen führt und der Wissenschaftler psychisch immer weiter in die Vergangenheit zurück geschleudert wird, während sein Organismus in der Gegenwart zu kollabieren droht. Dies gibt dem Autor die Gelegenheit, in vier unterschiedlich langen Episoden aus der Vergangenheit der Menschheit zu berichten.

 

Leider wird Harv gleich sehr weit in die Vergangenheit geschleudert und landet mit seinen Erinnerungen zur Zeit einer berühmten Sintflut, die wohl auch die Grundlage des Mythos um die Arche Noahs bildet. Hier wird er zum Bootsbesitzer Manuah Hasis, ein reicher Händler mit großer Familie in einer recht fortschrittlichen Stadt in der Nähe großer Ströme. Doch Manuah ist misstrauisch: Werden die Mauern der Stadt einer Flut standhalten? Und was ist mit der gewaltigen leuchtenden Himmelserscheinung, die immer größer wird? Als dann der Meteor auf der Erde einschlägt, ist Manuah der erste, der die Folgen ahnt. Er versammelt seine Familie, Freunde, Seeleute und andere um sich, lässt viele Boote aneinander binden, und als die gigantische Flutwelle dann wirklich kommt, sind er und seine Leute die Einzigen, die wirklich eine klitzekleine Chance haben, zu überleben...

Eine unglaublich spannende und toll erzählte Novelle von etwa 130 Seiten, welche die Handlung vor den Augen des Lesers lebendig werden lässt und großes Lese-Vergnügen bereitet.


Es folgt eine ebenfalls etwas längere Novelle von etwa 110 Seiten aus einer Zeit, als der Cro-Magnon-Mensch und der Neandertaler gemeinsam die Erde bewohnten. Harv erlebt die Jagd-Abenteuer eines primitiven Jägers, der in einer Art Holzhüttenfestung lebt. Bei einem Jagdausflug stößt seine Gruppe auf Neandertaler, die Dorfbewohner entführt haben, welche befreit werden sollen, was aber leider nicht wie geplant funktioniert...

Diese Episode ist schon deutlich schwächer als die Eingangsnovelle, jedoch immer noch recht spannend und, bis auf das kryptische und unbefriedigende Ende, auch gut lesbar.


Danach folgen jedoch zwei kürzere Geschichten aus noch fernerer Vergangenheit, die, da die Protagonisten recht einfachen Geistes sind, leider stark abfallen und nur einen unzulänglichen Blick auf die Vergangenheit der Menschheit bieten.

Schade, dass der Autor sich schon mit der ersten Episode so weit in die Vergangenheit gewagt hat. Dies hat ihm aber wohl eine ausführlichere historische Recherche erspart. Die Grundidee der Geschichte ist zudem eher schwach und unglaubwürdig. Sollten wirklich im genetischen Material vollständige Erinnerungen einzelner unserer Vorfahren gespeichert sein, die man durch „Stimulation“ abrufen kann? Keine sehr glaubhafte Hypothese!

Insgesamt ein lesbares Buch, bei dem vor allem die erste Novelle deutlich heraus ragt und fast alleine die Anschaffungskosten wert ist. Die zweite Novelle ist ebenfalls noch empfehlenswert, während die beiden kürzeren Geschichten zum Schluss und die karge Rahmenhandlung deutliche Mängel offenbaren und nur durch den Gesamtkontext der Erzählung als lesenswert eingestuft werden können.