Jeanne Faivre D’Arcier: Tanz des Blutes (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 18. August 2010 11:00
Jeanne Faivre D’Arcier
Tanz des Blutes
(Rogue Flamenco)
Aus dem Französischen übersetzt von Carolin Müller
Titelillustration von Nele Schütz Design
Heyne, 2010, Taschenbuch, 382 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-453-52722-5
Carsten Kuhr
Auf der Suche nach weiterem Nachschub für alle Fans des modernen Vampirromans ist man, nachdem der angloamerikanische Sprachraum abgegrast ist, bei Heyne in Frankreich fündig geworden. Was uns der verlagsseitige Waschzettel groß als „die französische J. R. Ward“ präsentiert, könnte unzutreffender kaum sein. Statt in Gewalt- und Sexorgien zu schwelgen, wie es bei J. R. Ward zusehends gang und gäbe wird, berichtet uns die Französin einfühlsam von der Lebens- und Leidensgeschichte einer jungen Französin.
Zusammen mit ihrem Vater flieht Carmilla vor den Schergen des französischen Königs nach Algerien. Hier, fernab der gewohnten Umgebung, wächst sie zu einer faszinierenden, bezaubernden Frau heran. Nach dem wirtschaftlichen Verfall der Familie, dem Tod der Mutter und der Trunksucht des Vaters flieht sie, arm und alleingelassen, in die Wände eines orientalischen Bordells. Nachdem sie dort – mehrmals gegen klingende Münze versteht sich – ihre Jungfräulichkeit verloren hat, sticht sie, neben all den Arabern, Tuareg und den englischen Soldaten, auch einem mysteriösen Fremden ins Auge, der sie zum Vampir wandelt. Statt ihr aber, wie eigentlich vorgeschrieben, beim Zurechtfinden in der Welt der Bluttrinker hilfreich zur Seite zu stehen und sie in die Regeln dieser ihr unbekannten Welt einzuführen, lässt er sie in einem Massengrab zurück.
Sie übersteht die Wandlung, flieht zusammen mit einer Gruppe Roma auf die Iberische Halbinsel, wo sie in die Geheimnisse des Flamenco-Tanzes eingeführt wird. Camilla erweist sich als Naturtalent. Nach einer mehrere Jahrzehnte dauernden Odyssee an der Seite ihrer vampirischen Geliebten, gibt sie die Suche nach ihrem Vampirschöpfer auf, und feiert auf der Bühne eines Pariser Theaters als mysteriöse Tänzerin neue Erfolge. Als sie dank ihrer eigenen Forschungen, aber auch mittels von ihr beauftragten menschlichen Wissenschaftlern, ein Blutplasma entwickelt, das die Bedürfnisse der Nosferatu befriedigt und deren Gebrechen heilt, heftet sich ein Unsterblicher an ihre Fersen, ein Vampir, dessen Gelüste sich weit über die Nahrungsaufnahme hinaus erstrecken ....
„Düster und erotisch“, so überschreibt Heyne das Buch. Zumindest in der ersten Hälfte des Romans trifft dies auch zu. Mit einfühlsamen Worten lässt die Autorin hier das Bild einer jungen Frau auferstehen, die von Verlust geprägt ist. Durch ihre ebenso staunenden wie so manches Mal hilflosen Augen erleben wir den zunächst sozialen Niedergang ihrer Familie mit, dem das wirtschaftliche Elend folgt. D’Arcier besticht hier durch eine sehr feine Zeichnung ihrer Figuren, deren Gefühle wir gut nachvollziehen können. Dazu gesellt sich das faszinierende Bild der französischen Kolonien um 1840. Ohne hier zu sehr in die Tiefe oder ins Detail zu gehen gelingt es der Autorin, uns diese Welt eindringlich vor Augen zu führen. In dieses realistisch wirkende Bild bricht dann das Übernatürliche in Gestalt der Vampire ein. Camilla ist hier, gerade weil ihr jegliche Führung vorenthalten wurde, mit ihren unbedarften Augen das ideale Vehikel, um diese Welt, wenn auch immer nur in Auszügen, sichtbar zu machen. Die Geschichte ihrer Gefährtin, die in Indien als Priesterin der Kali von den Thuggs verehrt wurde, reichert die Geschichte mit zusätzlicher Exotik an. Demgegenüber bleibt die Handlung in der Jetztzeit ein wenig blass. Scheinbar ohne jegliche Probleme verhandelt unsere Unsterbliche mit Mafia-Paten, lässt sich gleichzeitig aber als fast schon verschrecktes Wild von dem perversen Vampir jagen und manipulieren. Das passt nicht so ganz zu dem Bild, das ich mir im ersten Teil des Buches von Camilla gemacht habe. Zu sehr wird sie fremdbestimmt und gelenkt, zu wenig ergreift sie selbst Initiative.
Insgesamt ein in Ansätzen sehr interessantes Werk, das insbesondere in der Zeichnung der Vergangenheit zu punkten weiß, das in der Jetztzeit mit seinen verfeindeten „Kindern der Dunkelheit“- und „Söhnen der Sonne“ Ansätze für eine Fortsetzung bereithält, die Heyne unter dem Titel „Göttin der Nacht“ für eine Publikation verbreitet.