M. W. Ludwig: Der Fluch von Vincent St. John-Smythe - Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis 1 (Buch)

M. W. Ludwig
Der Fluch von Vincent St. John-Smythe
Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis 1
Titelbild: Grit Richter
Art Skript Phantastik Verlag, 2019, Paperback, 432 Seiten, 14,50 EUR, ISBN 978-3-945045-35-0 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Eigentlich ist es eine Unverschämtheit! Einem britischen Adeligen, einem Lord, passiert so etwas nicht! Das ist impertinent, unmöglich, ja ein handfester Skandal! Sir St. John-Smythe kommt in einem verschlossenen Sarg zu sich. Dass er, der immer ein Faible für das Okkulte hatte, sich auf eine Séance eingelassen hat und dabei eine Geistererscheinung hatte, scheint seine skandalösen Auswirkungen zu zeitigen. Glück im Unglück hat unser Professor noch dazu, sind doch gerade Leichenräuber unterwegs und befreien ihn aus seinem hölzernen Gefängnis.

Gekleidet in Pyjama, mit nur einem Pantoffel und einem Glöckchen um den Knöchel, sucht er mitten in der Nacht ausgerechnet Hilfe bei einem alten Widersacher und Wettpartner aus seinem Club. Die Beiden verbindet mehr als eine Wette, die St John-Smythe damals verloren hat - nicht weiter wichtig, es ging um eine Reise zum Mond und 20.000 Pfund in Gold - ergo nichts, das einen Gentleman sonderlich aus der Fassung bringt. Jetzt aber sucht er Hilfe und wird brüsk abgewiesen.

Am Tag nach dem Hilferuf hat Graham McPherson, Earl of Gaudibert, ein schlechtes Gewissen und macht sich, unterstützt von einem zwielichtigen Händler für Okkultes und seiner Ehefrau, auf die Suche nach dem aus dem Grab Auferstandenen. Dumm nur, das St. John-Smythe wie vom Erdboden verschluckt ist, sie dafür aber umso mysteriöse Gestalten kennen- und fürchten lernen.

Als sie den Vermissten schlussendlich wiederfinden, ist guter Rat teuer - hat dieser doch Kost und Logis in einem Irrenhaus auf dem Lande gefunden.

Was aber hat ihn bewogen überhaupt in die abgelegene Gegend zu fahren und was ging vor gut 20 Jahren in dem Ort vor, dass die Bewohner immer noch von umgehenden Geistern munkeln?

 

Was ist das für ein umfangreicher Roman, den uns Ludwig hier vorlegt?

Nun, die handelnden Figuren kennen wir bereits aus der vor zwei Jahren erschienenen Novelle „Der Earl von Gaudibert“.

Angesiedelt in und um London des ausgehenden 19. Jahrhunderts, erwartet uns ein Plot, der jede Menge vergnüglicher und unterhaltsamer Anspielungen, Verweise und Gastauftritte von historischen wie erfundenen Figuren der Geschichte für uns bereithält. Daneben geht es um ein mysteriöses Vorkommnis, besser gesagt, mehrere dieser Sorte, die den Figuren begegnen. Es kommen chinesische Triaden, Opiumschmuggler, Halsabschneider, Medien und blasierte Lords vor, dazu gesellen sich Verrückte, Mörder, Betrüger und Hochstapler - und Professoren, die dem Übernatürlichen nachforschen. Nicht zu vergessen auch, dass der Autor uns mit einer starken Frauenfigur verwöhnt.

Die gebotene Melange ist einzigartig, immer wieder stößt man während der Lektüre auf bekannte Figuren, Reminiszenzen und Anspielungen, bleibt letztlich dem Plot aber treu, statt sich hier zu verlieren. Grundsätzlich kann man den Roman - ja in welches Genre denn nun einordnen? Viktorianischer Grusel? Londoner Sitten-Roman? Detektivgeschichte? All dies trifft zu, doch ist die Einordnung gar nicht wichtig. Was wichtig ist, ist die Tatsache, dass der Roman fulminant unterhält. Auch oder vielleicht gerade, weil wir uns - noch - keinen wirklichen Reim auf die geschilderten Ereignisse machen können.

Im Hinterkopf bleibt immer die Frage, was ist passiert - sowohl in der Jetztzeit, als auch in der Vergangenheit der Gestalten, und wie passen die Puzzlestücke zusammen?

Dass der Roman trotz seiner Länge bestens unterhält, dass er auch stilistisch ansprechend ausgestaltet ist sei erwähnt, genauso die Tatsache, dass der Plot nicht abgeschlossen ist. Zur nächsten Buchmesse in Leipzig ist der zweite, abschließende Teil in Vorbereitung; bis dahin wird die Zeit lang werden, wollen wir doch wissen, wie es mit unseren kauzigen Protagonisten und deren Rätseln weitergeht.