Catherine McIlwaine: Tolkien - Schöpfer von Mittelerde (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 30. Mai 2019 11:51

Catherine McIlwaine
Tolkien - Schöpfer von Mittelerde
(Tolkien - Maker of Middle-Earth, 2018)
Übersetzung: Helmut W. Pesch und Marcel Aubron-Bülles
Hobbit Presse, 2019, Hardcover, 416 Seiten, 42,00 EUR, ISBN 978-3-608-96402-8
Rezension von Irene Salzmann
Es gibt wohl keinen Freund der Phantastischen Literatur, dem J. R. R. Tolkien (1892-1973) unbekannt ist. Sein Name ist untrennbar mit den Büchern „Der kleine Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ verbunden, in deren Schatten seine anderen belletristischen Publikationen („Bauer Giles von Ham“, „Die Briefe vom Weihnachtsmann“ und andere) stehen. Manches wurde posthum und nach einer Bearbeitung durch seinen Sohn Christopher Tolkien veröffentlicht wie zum Beispiel das eigentliche Hauptwerk des Autors „Das Silmarillon“, „Nachrichten aus Mittelerde“ und aus diesen Geschichten-Sammlungen ausgekoppelte Erzählungen wie „Die Kinder Húrins“, „Beren und Lúthien“ sowie andere Werke.
Viele Objekte aus dem Besitz von J. R. R. Tolkien wurden nach dessen Tod der Bodleian Library überlassen, mit der er über viele Jahre eng verbunden war, so dass sie über einen Schatz an Dokumenten verfügt, die teilweise im Rahmen einer Ausstellung (nicht alle Objekte konnten bislang erfasst werden) interessierten Besuchern zugänglich gemacht wurden - und die auch im vorliegenden Band „Tolkien - Schöpfer von Mittelerde“ zu sehen sind, ergänzt durch informative Texte von sechs „weltweit führenden Tolkienforschern“, die das Leben der Familie Tolkien, den Werdegang des Autors und seine Arbeit als Philologe, Literat und Illustrator beleuchten.
Das Leben von John Ronald Reuel Tolkien ist geprägt von Höhen und Tiefen und fortwährenden Veränderungen. Er wurde als britischer Staatsbürger in Südafrika geboren und reiste aus gesundheitlichen Gründen mit seiner Mutter und dem jüngeren Bruder nach England, wo er sich erholte. Es kam anschließend nicht mehr zur Rückkehr nach Südafrika, da der Vater an einer Krankheit verstarb und die Mutter ihre beiden Jungen allein durchbringen musste, bis sie selbst jung verschied. Von da an kümmerte sich ein befreundeter katholischer Priester um die Kinder, der dafür sorgte, dass sie eine gute Schulbildung erhielten und studieren konnten.
Tolkien erlebte zwei Kriege, während derer er gute und literaturinteressierte Freunde verlor und die eigene Familie, bestehend aus seiner Ehefrau Edith, drei Söhnen und einer Tochter, bloß mit Unterbrechungen sehen konnte. Sie zogen mehrfach um, je nachdem, wo er gerade stationiert war oder an welcher Universität er lehrte. Die glückliche Ehe endete mit Ediths Tod, und zwei Jahre später folgte der beliebte Schriftsteller ihr nach.
Aus den Essays erfährt man viele Details über das Leben und Schaffen Tolkiens, die man gewiss nicht alle kannte. Beispielsweise hat nicht etwa der Erfolg des Kinderbuchs „Der kleine Hobbit“ den Anstoß gegeben für die Niederschrift von „Der Herr der Ringe“ und die Entwicklung von Kunst- beziehungsweise Elben-Sprachen. Es war gerade umgekehrt, dass der schon als Kind von Sprachen faszinierte Tolkien über das Studium seine Liebe zu vor allem den germanischen/nordischen und den mit ihnen verwandten Sprachen auslebte und dieses Wissen entsprechend anwandte. Überdies versetzten seine Sprachkenntnisse ihn in die Lage, alte Prosa- oder Liedertexte im Original zu lesen und zu interpretieren, was ihn wiederum zur Schöpfung eigener Mythen inspirierten, die beeinflusst wurden von christlichen Werten und einer überhöhten Moral, die vor allem vielen Heldensagen zugrunde liegt.
Kurz: Um für die von ihm entwickelten Sprachen anwenden zu können, erfand Tolkien, beeindruckt von der „Edda“, der „Kalevala“ und anderen Sagen, die phantastische Welt Mittelerde. Seine Ideen wurden später im „Silmarillion“ zusammengefasst, das er zeit seines Lebens nicht mehr beenden konnte. Allein der an seine Kinder adressierte „Der kleine Hobbit“ und der von dieser erfolgreichen Publikation beflügelte „Der Herr der Ringe“, die auf dem „Silmarillion“ basieren, verhalfen ihm zu einer großen Fan-Gemeinde, zu der Chuck und Joni Mitchell, Terry Pratchett, Königin Margrethe von Dänemark und viele andere zählen.
Desweiteren erfährt man, dass Tolkien, gefördert von der Mutter, schon als Kind viel gezeichnet hat. Er fertigte Studien an von den Orten, an denen er lebte, von den Personen seines Umfelds und vor allem von den Motiven, die in seinen Geschichten eine wichtige Rolle spielen (Landkarten, Wappen, Bäume etc.). Neben bodenständigen Illustrationen finden sich transzendente Motive, die veranschaulichen, dass er stets bestrebt war, hinter das Offensichtliche zu blicken, um das Verborgene beziehungsweise Wahre zu finden. Allerdings mochte er nie mit professionellen Illustratoren konkurrieren, als es um die optische Gestaltung seiner Bücher ging.
Das Buch ist so angefüllt mit Informationen, dass man mit den genannten Beispielen lediglich einen kleinen Bereich abdecken kann, zumal man für den Leser noch so einige Überraschungen bewahren möchte. Freilich gibt es bei den Schilderungen auch Überschneidungen, da die verschiedenen Autoren, um einem Thema gerecht zu werden (darunter die Familiengeschichte der Tolkiens, die an der Universität geschlossenen Freundschaften mit anderen Autoren wie C. S. Lewis [„Die Chroniken von Narnia“], die Forschungs- und Lehraufträge, die Autoren- und Illustratorentätigkeit), sich zwangsläufig wiederholen mussten, was jedoch durch den veränderten Kontext durchaus neue Betrachtungsweisen mitbringt.
Die Texte werden von sehr vielen, passend ausgewählten Abbildungen (über 300 weitgehend farbige Bilder) aufgelockert, darunter Fotos, Illustrationen, Landkarten, Briefe, Originalmanuskripte. Das Verhältnis Text/Bild ist sehr ausgewogen. Man hält gewissermaßen eine Mischung aus Biografie und Bildband in den Händen, ein reines Sachbuch, in dem J. R. R. Tolkien als Mensch und Autor im Mittelpunkt steht.
Der Titel ist sehr aufwändig gestaltet als Hardcover im nahezu quadratischen Alben-Format mit Goldfoliendruck und Kunstdruckpapier im Innenteil.
Das Buch wendet sich an einen Kreis, der nicht bloß an Tolkiens spannenden Geschichten interessiert ist, sondern auch etwas über seine Person und die Motive erfahren wollen, die er verarbeitet hat.
Infolgedessen ist „Tolkien - Schöpfer von Mittelerde“ kein Band für die reine Unterhaltung wünschenden Fantasy-Fans sondern ein Titel für Leser, die hinter die Kulissen blicken möchten. Der Preis von 42,00 EUR ist zwar angemessen in Hinblick auf Umfang, Inhalt und Gestaltung, doch lohnt sich diese Ausgabe beziehungsweise die Anschaffung des Bandes nur, wenn man Tolkien nicht auf „Der kleine Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ reduzieren will, sondern versuchen möchte, das tiefgründige Gesamtbild zu erfassen.