Mark Millar Collection 8: Marvel Knights: Spider-Man (Comic)

Mark Millar
Mark Millar Collection 8
Marvel Knights: Spider-Man
(Marvel Knights: Spider-Man 1-12, 2004/2005)
Titelbild: Terry & Rachel Dodson
Zeichnungen: Terry Dodson, Frank Cho u.a.
Panini, 2018, Hardcover, 316 Seiten, 39,00 EUR, ISBN 978-3-7416-0995-4

Rezension von Irene Salzmann

Nachdem Spider-Man den Grünen Kobold hinter Gitter gebracht hat, wird Tante May entführt, und auch Mary-Jane muss in Angst leben. Um seine Tante zu retten, sucht Peter sogar die Hilfe von einigen Schurken, da er glaubt, dass sie in der Sache mit drin stecken oder zumindest etwas wissen. Auch Black Cat, die immer noch viel für ihren verheirateten Ex empfindet, steht ihm bei.

Es dauert lange, bis Peter begreift, dass er die ganze Zeit nur ein Spielball war und benutzt wurde, dass sein größter Feind aus dem Hintergrund die Strippen zog. Für Tante May läuft die Zeit allmählich ab, ohne dass es einen Hinweis gibt, wo sie festgehalten wird, und MJ soll genauso sterben wie einst Peters große Liebe Gwen.


Die „Marvel Knights“-Reihe ist an ein reiferes Publikum adressiert. Unter diesem Label erschienen Comics, die weitaus härter angelegt sind als die meisten ‚normalen‘ Serien, sieht man mal von „Wolverine“, „Punisher“, „Deadpool“ und einzelnen anderen ab. Die Helden, die sich ohnehin oft in einer Grauzone bewegen, sind hier noch stärker von Verzweiflung getrieben und bereit, große persönliche Opfer zu bringen und Dinge zu tun, die sie grundsätzlich ablehnen, um jene zu retten, die ihnen alles bedeuten. Ihre Kämpfe sind blutig und es gibt Tote. Die Sprache ist drastisch, das Milieu dreckig.

Peter Parker versucht von jeher, seine Angehörigen und Freunde aus den Problemen herauszuhalten, mit denen er sich als Spider-Man auseinandersetzen muss. Mittlerweile kennen jedoch immer mehr Menschen seine Identität, darunter auch einige Gegner. Als ihn ein unbekannter Anrufer von der Entführung Tante Mays unterrichtet, sucht Spider-Man Unterstützung bei seinen wenigen Freunden, aber diese sind entweder nicht in der Stadt oder mit sich selbst beschäftigt. Allein auf Black Cat kann er zählen, nicht aber auf die Schurken, die ihr Spiel mit ihm treiben und dabei selber gelenkt werden.

Immer mehr beginnt Peter, an sich und an der Richtigkeit seines Tuns zu zweifeln. Wäre es nicht besser, er würde aufhören, Spider-Man zu sein, mit seiner Familie über das Zeugenschutzprogramm anderswo unter neuem Namen ein ruhiges Leben führen und die Verbrecherjagd den Avengers, den X-Men oder wem auch immer überlassen? Nach dem Tod von Onkel Ben und Gwen Stacy zeigt sich nun erneut, dass er trotz seiner Kräfte nicht fähig ist, seine Angehörigen zu schützen und zu retten.

In seiner Not trifft er mehrere Fehlentscheidungen, von denen die schlimmste ist, einen Feind aus dem Gefängnis zu befreien und ihm die Chance zu geben, einmal etwas richtig zu machen. Dass das schiefgehen würde, lag auf der Hand. Dementsprechend spitzt sich die Lage umso mehr zu, und es wiederholen sich Szenen aus der Vergangenheit.

Kurz vor dem Ende darf Spider-Man etwas aufatmen, weil ihn seine Freunde doch nicht im Stich lassen. Spät kommen sie, doch sie kommen - als schon offensichtlich ist, wer hinter allem steckt und die Zeit für Tante May und MJ verrinnt. Sie halten ihm den Rücken frei, so dass er sich auf die Rettung seiner Familie konzentrieren kann.

Hat man erwartet, dass es einige zusätzliche Spannungen geben könnte durch eine ‚Dreiecksbeziehung‘ mit Black Cat, die Spider-Man in einer Weise hilft, wie es MJ nicht kann, so erlebt man drei sehr reife Personen, denen bewusst ist, dass zu viel auf dem Spiel steht, um ein Beziehungsdrama anzuzetteln. Peter ist zu besorgt um seine Tante, um zu bemerken, dass seine Ex ihn immer noch liebt. MJ ist wenig glücklich über Black Cats Anwesenheit, akzeptiert aber, dass Spider-Man jede Unterstützung nötig hat. Black Cat wiederum versucht, ihre Gefühle zu verbergen, sehr wohl wissend, dass sie die Zeit nicht zurückdrehen kann (was so Mancher, der in ihr Peters/Spider-Mans beste Partnerin sieht, bedauern dürfte). Von daher bleibt es bei vagen Andeutungen, die das Action-Drama nicht verwässern.

Mark Millar („Ultimate X-Men“, „Civil War“, „Superman Adventures“) ist eine phantastische Story gelungen, die alle Protagonisten sehr glaubwürdig darstellt, wobei die Helden ihre dunklen und die Schurken ihre menschlichen Seiten offenbaren. Spider-Man wird manipuliert und gejagt, in die Verzweiflung und zu Taten getrieben, die er lange bedauern wird, und doch gibt er trotz übler Verletzungen nicht auf, weil es um das Leben seiner Angehörigen geht, die ihm wichtiger sind als alles andere, selbst als moralische Erwägungen und den Wunsch, immer das Richtige, das Gute zu tun.

Erfreulicherweise ist die in sich abgeschlossene und komplett vorliegende Mini-Serie von einem homogenen Zeichner-Team in Szene gesetzt worden. Terry Dodson („Uncanny X-Men“, „Spider-Man and the Black Cat“, „Wonder Woman“) mit Rachel Dodson („Defenders“, „Young X-Men“, „Catwoman“) und Frank Cho („Shanna, the She-Devil“, „Savage Wolverine“, „The Totally Awesome Hulk“) liefern ein Artwork ohne Stilbrüche. Sowohl die ruhigen als auch die dynamischen Action-Sequenzen gefallen durch die realistisch-idealistische Gestaltung, Perspektivenwechsel und gelegentliche Aufbrüche der Panel-Rahmen. Auch die Kolorierung von Ian Hannin („Batman“, „Detective Comics“, „X-O Manowar“) und Laura Martin („Planetary“, „Authority“, „Sojourn“) tragen ihren Teil zu der düsteren Atmosphäre des Dramas bei.

Eine großartige Comic-Mini-Serie für ein erwachsenes Publikum, spannend geschrieben und optisch sehr ansprechend inszeniert.