Stephen King: Sunset (Buch)

Stephen King
Sunset
(Just after Sunset, 2008)
Aus dem Englischen von Wulf Bergner, Karl-Heinz Ebnet, Sabine Lohmann, Friedrich Mader und Hannes Riffel
Heyne, 2010, Taschenbuch, 480 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-453-43467-7

Gunther Barnewald

Aller guten Dinge sind 13, so könnte man anlässlich einer neuen Kurzgeschichtensammlung mit 13 kürzeren Texten von Stephen King formulieren, denn meist erweisen sich kürzere Werke des Meisters des Horrors als durchaus formidabel und viele erstklassige Verfilmungen („Die Verurteilten“, „Der Musterschüler“ oder „Stand by me – Das Geheimnis eines Sommers“, um nur einige zu nennen) zeigen, dass auch inhaltlich Substanz vorhanden und King wunderbare Ideen zu entwickeln in der Lage ist. Dass er die stilistischen Fertigkeiten hat, seine Leser völlig in den Bann zu schlagen, darüber muss man wohl nicht diskutieren.

Leider erweisen sich die vorliegende Stories aber oft nur als in letztgenannter Hinsicht brillant, denn in punkto Spannung hat der Autor den meisten seiner Kollegen viel voraus. Ein exquisites Beispiel hierfür ist die vorliegende Novelle „Das Pfefferkuchen-Mädchen“ (eine Anspielung, welche viele deutsche Leser nicht verstehen dürften, da die Werbefigur des ewig rennenden Pfefferkuchenmännchens bei uns so nicht existiert). In der Geschichte entwickelt sich eine junge Frau nach einer Fehlgeburt zu einer ausdauernden Joggerin, da es sie von ihrem Trauma ablenkt. Als nun ein Mörder sie verfolgt, den sie zufällig bei einer seiner Mordtaten überrascht hatte, kommt ihr das andauernde exzessive Training zugute. Das anschließende Laufduell gehört zweifellos zu den spannendsten Momenten der Kollektion, inhaltlich ist die Story naturgemäß eher weniger überzeugend.

Genau dies ist aber das Manko von „Sunset“, denn wirklich hochklassige Ideen finden sich zu selten.

Zum Besten gehört noch die anrührende Kurzgeschichte „Hinterlassenschaften“, die das Attentat auf das World Trade Center 2001 als Ausgangspunkt einer Gruselstory benutzt, ohne allerdings deren volles Potenzial auszureizen. Während „Der Hometrainer“ zuerst wie eine Variante einer von Kings eindrücklichsten Kurzgeschichten („Der Straßenvirus zieht nach Norden“) wirkt, um dann gegen Ende eine ebenso überraschende wie (ausnahmsweise) versöhnliche Wendung zu nehmen und damit versierte Horrorleser sehr erfreuen dürfte, ist wohl vor allem die überaus eklige Geschichte „In der Klemme“ das eigentliche Highlight der Sammlung. Diese Story sollte man keinesfalls kurz vor, während oder nach einer Mahlzeit lesen, denn entweder sie kommt einem wieder hoch, oder man hat als Rezipient wirklich keinerlei Phantasie oder keine Ekelschwelle. Auch hier sorgt ein etwas überraschendes Ende zudem noch für zusätzliche Würze.

Andere Geschichten überzeugen zumindest aufgrund der heraufbeschworenen Atmosphäre, so „Die Höllenkatze“ durch das grausige Ende des Auftragkillers oder „N“ durch die dichte Atmosphäre, die aber leider sehr unter der Vorhersehbarkeit des Plots leidet. Gleiches gilt leider für „Harveys Traum“. „Stumm“ liegt zwar eine gute Idee zugrunde, die Ausführung erscheint jedoch eher mangelhaft, noch mehr gilt dies für die Story „Die New York Times zum Vorzugspreis“, da hier die Charaktere, selbst für eine Kurzgeschichte, zu flach geraten sind, man als Leser kaum Mitgefühl für die Protagonisten empfinden kann.

Besonders schwach fallen „Ayanna“ (hier sei jedem Leser F. Paul Wilsons hervorragender Roman „Die Gabe“ zu einem ähnlichen Thema empfohlen), „Abschlusstag“ und die nichtssagende Gespensterstory „Willa“. Schlicht und ergreifend verschenkt ist „Der Rastplatz“, aus dessen Grundidee King viel mehr hätte machen müssen

Neben dem erhellenden Vorwort beschreibt der Autor im Nachwort noch, wie es zu jeder Geschichte kam, was durchaus interessant erscheint.

Insgesamt stellt „Sunset“ (warum es nicht möglich war, hier einen deutschen Titel zu finden, weiß wieder einmal nur der sprichwörtliche Geier, zumal der Originaltitel ja sogar „Just After Sunset“ lautet) eine für Kings Verhältnisse eher mäßige Kollektion dar. Von ihm kann man in dieser Hinsicht mehr erwarten. Aber Lesevergnügen bietet die Sammlung allemal, denn spannend schreiben kann der Autor zweifellos. Nur scheinen ihm leider die Ideen zurzeit ausgegangen zu sein.