Alisha Bionda (Hrsg.): Die Grüne Muse (Buch)

Alisha Bionda (Hrsg.)
Die Grüne Muse
Titelbild: iStock Deedl
Fabylon, 2018, Paperback, 282 Seiten, 15,90 EUR, ISBN 978-3-946773-07-8 (auch als eBook erhälltich)

Rezension von Carsten Kuhr

Alisha Bionda kann und will es glücklicherweise nicht lassen. Auch wenn man allerorts zu hören bekommt, dass die Zeit der Kurzgeschichten vorbei ist, dass sich Kollektionen und Anthologien nicht verkaufen, macht sie sich für entsprechende Bücher stark, findet immer wieder mutige Verleger, die sie bei ihrem Faible unterstützen.

Der Fabylon Verlag von Uschi Zietsch hat in den letzten Jahren schon einige Anthologien Biondas veröffentlicht. Vorliegend hat die Herausgeberin ein ganz besonderes Thema ausgesucht. Absinth, die grüne Fee, wie Fans des Getränks dieses liebevoll getauft haben, soll das verbindende Glied der Geschichten sein

Wir wissen, dass insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Absinth als Inspiration in Künstlerkreisen beliebt war. In Paris und Berlin, in New York und London schätzte man die Wirkung des Getränks, so manches anerkanntes Kunst- und Dichtwerk wäre ohne die Inspiration des grünen, so manches Mal flambiert kredenzten Getränks nicht geschaffen worden.

An diese Tradition möchte sich das Buch anschließen. Dabei kommen Künstler und Schriftsteller als Protagonisten ebenso vor, wie das Getränk, das seine Auswirkungen auf die Menschen die es genießen, zeitigt. Entgegen der sonstigen Übung fehlen dieses Mal leider die Originalillustrationen zu den Geschichten. Als kleinen Ausgleich hat die Herausgeberin jedem Beitrag ein kleines Rezept mit der Fée Verte vorangestellt.

Inhaltlich wenden sich die beteiligten Verfasser vornehmlich der Vergangenheit zu. Zumeist nutzen sie bekannte, historisch verbürgte Figuren - Maler und Schriftsteller -, um diese im Bann der grünen Fee zu porträtieren. In diese realistisch wirkende Umgebung und Situation bricht dann das Übernatürliche ein, sucht die Protagonisten heim. Die Beiträge unterscheiden sich dabei sowohl den Ansatz als auch den Umfang betreffend markant. Ganz kurze Storys wie etwas von Marc-Alastor E.-E. wechseln sich mit fast schon Novellenlänge erreichenden Erzählungen ab. Allen aber ist zu attestieren, dass sie handwerklich zu überzeugen wissen. Stilistisch sind alle Texte ansprechend, der Band wie üblich sorgfältig redigiert und liebevoll mit kleinen Vignetten verziert.


Was erwartet den Leser nun im Einzelnen?

In Katja Göddenmeyers „Cros an Mars“ begegnet uns in Paris eine Gruppe von Anhängern der grünen Fee, die für ihre Kunst, die Liebe und ihre Entdeckungen leben - doch was, wenn die Fee einem von ihnen prophetische Kräfte verleiht, als er versucht mit den Bewohnern des Mars und Venus Kontakt aufzunehmen?

Edgar Allan Poe zählt zu den Größen der Literatur. Als man ihn 1849 auf der Straße liegend sterbend vorfindet, sind die Umstände rätselhaft. Arne Kilians „Nimmermehr“ beschreibt, wie der Dichterfürst mittels raffinierter Verführung durch die grüne Fee auf den letzten Weg gebracht wurde.

Was kann einem Menschen Schlimmeres widerfahren, als dass die eigene Tochter verstirbt? Guido Krain greift dieses Grauen in „Das Harfenmädchen“ in Persona Sir Edward Bulwer-Lyttons auf, der im Absinth seine Tochter wiederzufinden sucht…

Auch Vincent Voss widmet sich in „Auf grünen Schwingen durch die Nacht“ dem Leben und Sterben Edgar Allan Poes. Bei ihm wird der Dichterfürst durch einen dunklen Bruder heimgesucht, der ihn und seine Geliebte verfolgt, dessen Traktate er verbessert und als die seinigen veröffentlicht. Doch ist der Unbekannte, der ihm äußerlich so gleicht, wirklich ein Fremder?

Arthur Gordon Wolfs „Die kreischenden Harmonien des Rik van Weyden“ verbindet in geradezu exemplarischer, aber gleichzeitig einzigartiger Weise den Mythos um die Großen Alten mit Paul Gaugin und Vincent van Gogh - mehr wird hier nicht verraten, lesen Sie selbst, es lohnt sich.

„Triumph“ von Marc-Alastor E.-E. stellt uns einen gefeierten Autor vor, der seiner Muse, der Fée verte Vieles, was sage ich, Alles verdankt.

Die Syphilis sucht in David T. Morgans „Der Weiße Anubis“ Charles Beaudelaire heim, der sein Leiden mit der grünen Fee bekämpft und in seinem Arzt seinen Widerpart findet.

Der kleingewachsene Maler Henri Toulouse-Lautec steht in Torsten Scheibs „Im Zirkel der Wonnen“ im Mittelpunkt der Handlung. Der Mann, der der holden Weiblichkeit frönt, wird mit eben dieser in eine perfide Falle gelockt, in die vor ihm bereits Oscar Wilde und van Gogh gefangen waren; er soll mittels seines künstlerischen Genius Visionen der schrecklichen Art auf die Leinwand bannen - und derartige Vorkommnisse gibt es in der Zukunft wahrlich genug.

Aino Laos „Der Anfang vom Ende“ teilt die letzten Momente des Vincent van Gogh mit dem Leser - ein Vincent, der gnadenlos mit sich selbst und seiner Mutter ins Gericht geht, der bereut, seine Muse lobpreist und von dem Erbe, das er hinterlässt, enttäuscht ist.

Die „Fathering Tavern“ in einem heruntergekommenen Stadtteil von London kredenzt im Hinterzimmer den Gentlemen unter den Kunden etwas ganz Besonderes. Eine grüne Muse, die in Nicolaus Equiamicus „Der Marquise d´Auvergne“ ihre Kreativität anregt und die Hemmungen lockert - bis sie von ihren Taten eingeholt werden…

Was führt einen lahmen Fuchs, einen blinden Kater, verweste Karnickel, Meister Holzauge und einen puppenspielenden Menschenfresser in eine einsam gelegene toskanische Herberge? Sie ahnen schon, dass uns Harald A. Weissens „Träumen im Inneren eines Walfischs“ nicht nur diese, sondern auch eine grüne, im wahrsten Sinne des Wortes säurehaltige grüne Fee vorstellen wird - und einen Plan, in dem es um das §rreichen echten Lebens geht.

In Sören Preschers „Der Mann mit den geheimen Erkennungszeichen“ begegnet der Leser einmal mehr Edgar Allan Poe. Auf der Suche nach Inspiration wendet dieser sich der grünen Fee zu, und hat daraufhin eine Vision von Engeln, die ausgeschickt werden, die vakante Stelle des Todes zu füllen.

Lothar Nietschs „Unvergessen“ präsentiert uns einen Frisör, der in seiner Freizeit, angeleitet von der grünen Fee, einem besonderen Hobby nachgeht - er richtet Serienkiller.


Wie man sieht, wartet jede Menge Abwechslung auf den Interessierten. Nehmen Sie sich einmal ein wenig Zeit, und vielleicht kaufen sie gar eine Flasche des inzwischen wieder zum Handel und Verzehr zugelassenen grünen Getränks, um sich ganz stilecht auf die Fee und ihre Bewunderer einzulassen.