Coraline (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 08. Mai 2010 11:07
Coraline
Adaption und Zeichnungen: Neil Gaiman & P. Craig Russel
Nach dem gleichnamigen Roman
Aus dem Amerikanischen von Bernd Kronsbein
Titelillustration von Craig P. Russel
Panini, 2009, Paperback mit Klappenbroschur, 196 Seiten,19,95 EUR, ISBN 978-3-86607-819-2
Irene Salzmann
Wer phantastische Literatur und Comics schätzt, für den sind die Schöpfer der Graphic Novel „Coraline“ sicher keine Unbekannten. Neil Gaiman wurde vor allem durch seine „Sandman“-Serie bekannt, ist aber auch der Verfasser von Titeln wie „The Graveyard Book“, „Die Bücher der Magie“, „Signal to Noise“, „Black Orchid“ etc. P. Craig Russel arbeitete unter anderem an Comics wie „Elric von Melniboné“, „Star Wars“, „Buffy the Vampire Slayer“, „Conan“ und „Sandman“. P. Craig Russel nahm sich des Jugendbuchs „Coraline“ von Neil Gaiman an und setzte die Geschichte als realistisch gezeichnete Graphic Novel um, die an ein All-Age-Publikum adressiert ist.
Coraline zieht mit ihren Eltern in ein großes, altes Haus. Der Reiz des Neuen ist jedoch schnell verflogen, und das Mädchen langweilt sich fürchterlich. Die Eltern müssen arbeiten und haben keine Zeit, um mit ihr zu spielen, und die anderen Bewohner sind alt und wunderlich. Zufällig entdeckt Coraline eine Tür, die zugemauert wurde. Doch eines Tages ist die Mauer einfach weg, und der finstere Gang führt Coraline in die ‚andere’ Wohnung und zu ihren ‚anderen’ Eltern, die statt Augen Knöpfe haben. Dort ist zunächst alles viel aufregender und schöner. Die ‚andere’ Mutter kocht leckeres Essen, sie und der ‚andere’ Vater wollen mit ihr spielen, im ‚anderen’ Zimmer gibt es viele tolle Spielsachen, die ‚anderen’ Nachbarn treiben kuriose Dinge, und die Tiere können sprechen.
Doch irgendwie ist es auch etwas unheimlich. Die ‚anderen’ Eltern sind zu freundlich und drängen Coraline zu sehr, für immer bei ihnen zu bleiben. Das ist nämlich ganz leicht: Sie muss sich nur Knöpfe anstelle der Augen nähen lassen. Coraline bekommt Angst und kehrt schnell auf ihre Seite der Tür zurück. Zu ihrem großen Schreck muss sie feststellen, dass ihre Eltern verschwunden sind, dass sie zu Gefangenen der ‚anderen’ Mutter wurden – und sie sind nicht die einzigen. Coraline hat keine andere Wahl, als sich erneut in die ‚andere’ Welt zu begeben, will sie ihre Eltern und die Geister der Kinder befreien. Allerdings gelingt es der ‚anderen’ Mutter, Coraline den Schlüssel abzunehmen und die rettende Tür zu versperren, so dass auch sie in der Falle sitzt.
Notgedrungen lässt sich Coraline auf ein gefährliches Spiel ein: Wenn sie die Gefangenen finden kann, sind sie alle frei. Verliert sie, muss sie bleiben und sich die Knöpfe aufnähen lassen. Wie zu erwarten war, greift die ‚andere’ Mutter zu allerlei hinterlistigen Tricks, um zu gewinnen …
Die Titelheldin ist ein junges Mädchen, das für sein Alter (Grundschule) recht erwachsen wirkt, sowohl optisch als auch vom Verhalten und der Sprache her. Wie alle Kinder fühlt sie sich zu wenig von den Eltern, die kaum Zeit für sie haben, beachtet, und so führt die Langeweile Coraline in ein gefährliches Abenteuer.
Man fühlt sich ein wenig an Lewis Carrolls Bücher „Alice im Wunderland“ und „Alice hinter den Spiegeln“ oder L. Frank Baums „Der Zauberer von Oz“ erinnert, denn auch Coraline landet in einer Welt, die der ihr bekannten sehr ähnlich und doch anders ist, in der Magie wirkt – es magische Hilfsmittel gibt – und Tiere sprechen können. Auf den ersten Blick hin ist dort alles sehr schön und aufregend, aber hinter der Fassade verbergen sich Schrecknisse und lauert Bedrohliches. Coraline ahnt früh, dass die ‚andere’ Welt kein guter Ort ist, doch es ist bereits zu spät, und sie kann nur dann frei kommen, wenn es ihr gelingt, die übrigen Opfer zu retten und die ‚andere’ Mutter zu überlisten.
Dabei helfen ihr die Geister der Kinder, eine sprechende Katze – dass sie eine bedeutende Rolle innehat, wird auch zeichnerisch sehr schön angedeutet, da sie auf der ersten Seite ins Bild läuft, auch auf den folgenden Blättern, auf denen noch gar nichts passiert, zu sehen ist und am Ende des Bandes aus dem Bild hinaus läuft –, ein besonderer Stein, die kryptischen Worte der Nachbarn und der ‚andere’ Vater, der eigentlich gar nicht böse ist, aber nicht gegen seine Frau ankommt. Trotzdem ist Coraline in erster Linie auf sich selber, ihren Mut und Ideenreichtum angewiesen. Der Leser lernt mit ihr die ‚andere’ Welt kennen, die immer bizarrer und unheimlicher wird. Nicht alle Fragen werden beantwortet: So erfährt man beispielsweise nicht, was für ein Wesen die ‚andere’ Mutter ist und wie die ‚andere’ Seite überhaupt entstand. Diese Dinge werden als gegeben vorausgesetzt, sie sind einfach da, und dass einige Geheimnisse bleiben, verstärkt die bedrückende Atmosphäre. Natürlich wahrt der Autor damit auch die Option auf eine Fortsetzung.
Neil Gaiman und P. Craig Russel spielen in „Coraline“ mit Versuchungen, Selbstzweifeln und Urängsten. Sie ziehen ihr Publikum in ein spannendes, schauriges Mystery-Abenteuer hinein, das auch als Comic überzeugen kann. Auf Action und Splatter wurde verzichtet – das subtile Grauen, das erzeugt wird durch gefällige Bilder und eine anfangs harmlose, ruhige Handlung, die sich immer weiter ins Bizarre steigert und die Schrecken nach und nach enthüllt, fasziniert viel mehr.
Von daher kann man die sehr schön gestaltete Graphic Novel – Paperback mit Klappenbroschur, hochwertiges Kunstdruckpapier, Cover mit Foliendruck, eine abgeschlossene, vollfarbige Story – allen Freunden der gepflegten Phantastik nur empfehlen.