Frank Böhmert: Ein Abend beim Chinesen (Buch)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 04. Mai 2010 20:22
Frank Böhmert
Ein Abend beim Chinesen
Beste Geschichten
Titelillustration von Xlendi
AndroSF/p.machinery, Taschenbuch, 232 Seiten, 12,90 EUR, ISBN 978-3-8391-0096-7
Carsten Kuhr
Frank Böhmert ist dem Freund Phantastischer Literatur nicht zuletzt durch seine Beiträge zum "Perry Rhodan"-Kosmos bekannt. Mit seinen Romanen hat er nicht nur bewiesen, dass er sich im Perryversum auskennt, er hat auch beredt davon Zeugnis abgelegt, dass er zu erzählen weiß. In der kleinen, nichtsdestotrotz wohlfeilen, Taschenbuchreihe AndroSF erschien, in Zusammenarbeit mit dem Verlag p.Machinery, im Dezember 2009 eine Collection mit seinen besten Geschichten.
Das Gebotene, immerhin enthält das Buch nicht weniger als 24 Geschichten, umfasst sein Schaffen aus den letzten rund dreißig Jahren, reicht inhaltlich von Gruselszenarien bis hin zu einfühlsamen Reminiszenzen pubertärer Träume. Verbindendea Glied ist dabei die besondere Art und Weise, wie der Autor den Leser anspricht. Immer schaffen es die stilistisch wie inhaltlich unterschiedlichen Geschichten, etwas im Innern, Erinnerungen an eigene Erlebnisse, anzusprechen. So oder so ähnlich erging es doch uns allen, während wir mühsam versuchten, erwachsen zu werden. Die Eltern, damals noch Autoritätspersonen, waren nur lästige Spaßbremsen, das andere Geschlecht geheimnisvoll und interessant, man selbst möglichst cool.
Und um diese selbstverordnete Coolness geht es oft in den Erzählungen des Frank Böhmert. Wir verfolgen mit, wie junge Menschen, innerlich verunsichert, versuchen, ihre Ängste zu überspielen, sich in Mutproben oder durch schlichte Angabe als interessant zu präsentieren.
Auffallend dabei, dass mir zumindest die Geschichten die ganz in der Realität fußen, fast am besten gefallen haben. Sei es, dass Beamtenapparate und deren Amtsträger durch den Kakao gezogen werden, oder sich ein Ex-Paar zum Essen trifft. Mit scharfem Blick beleuchtet der Autor das zwischenmenschliche Mit- und Gegeneinander, die Sprachlosigkeit, die Menschen, die sich nichts mehr zu sagen haben, die einander hilflos gegenübersitzen.
Es geht dem Autor um Menschen und ihre Gefühle, um Schicksale, alles andere ist schmückendes Beiwerk. Oft berichtet und Böhmert von Menschen, die einsam sind, die sich nach Geborgenheit, Wärme und Liebe sehnen, dabei aber schnell an Grenzen stoßen. Insofern sprechen manche Geschichten den Leser auf eine sehr persönliche, ja intime Art an. Ich las aber auch Stories, die mir nichts sagten.
Das Gebotene ist abwechslungsreich und unterhaltsam, weckt Erinnerungen und Sehnsüchte und überzeugt durch seine sprachliche Ausarbeitung.
Um was es im Einzelnen geht, möchten Sie wissen? Selbst auf der Klassenausfahrt ist die Lieblingslektüre unserer Jungs, natürlich Gruselhefte, mit dabei. Im Schullandheim wird unter der Bettdecke geschmökert, tagsüber wird dann mächtig angegeben. Um den anderen zu imponieren wird da schon einmal über das vernünftige Maß hinaus angegeben. Eine Mutprobe, das Erklettern des höchsten Baumes der Umgebung, bringt unseren Erzähler nicht nur in den Wipfel des Baumes, er stößt weit über dem Erdboden auch auf einen ungewöhnlichen Vorratsschrank.
"Brüderlein und Schwesterlein" berichtet von einem Geschwisterpaar, das sich im Wald verläuft. Nach fünf Tagen taumelt der Junge, die bewusstlose Schwester im Arm, aus dem Dickicht. Um seine Schwester zu retten, ist ihm nichts zu viel. Auf der Suche nach einem Heilmittel bereist er jahrelang die Welt, nur, um als er endlich mit dem Horn eines Einhorns ausgerüstet zurückkehrt, zum Friedhof verwiesen zu werden. Doch selbst dies ist nicht das Ende der innigen Beziehung der Geschwister.
"Pech für Opa". Eine gar böse Geschichte von einem Jungen, dessen unbändiger Wille zum Vampir zu werden ihn dazu bringt, seinem Großvater um das Teuerste zu bringen, das diesee besitzt -und ich meine dieses Mal nicht nur den roten Lebenssaft ...
"Love Bug" erzählt von zwei Jungs, die einen schrottreifen Käfer zu ihrem Liebesnest ausgebaut haben. Nachdem alles vorbereitet ist fehlen nur noch die Mädchen, mit denen man dann bei Musik und Sekt abhängen kann...
"Wie ein Adler" berichtet von der Welt nach der Katastrophe. Ein Mann, der mit seinem Flugdrachen durch die Lüfte gleitet, begibt sich auf der Suche nach Vorräten und Klebstoff für sein Segel in die Überreste einer Stadt.
Die Begegnung mit einer jungen Frau weckte Gefühle in einem Mann, Gefühle, die er oder doch sie zu Hause auslebt.
"Dame ohne Unterleib" erzählt in kurzer, pointierter Weise von einer Frau, die ihre Beine einem Verehrer veräußert hat.
"In der Hauptstadt" berichtet von einem Mann, der eine virtuelle Reise in das Berlin der Skinheads unternimmt -und nicht wieder zurückfindet.
"Hammer TV". Nach einer Nacht der Ausschweifungen wacht unser hormongesteuerter Held mit einer Bisswunde am Hals auf. Hat etwa ein Vampir ihn als Opfer benutzt? Na, die nette Mechanikerin von der Van Helsing Stiftung wird's schon richten.
In "Der Sauger" beichtet ein Mörder seine Begierden.
In den Weiten des Weltraums stoßen die Raumfahrer der Erde auf Erfindungen von Aliens, die das interstellare Abfallwesen revolutionieren könnten.
Oder kommen Sie mit zu einem Mann, der unbedingt ein Walross werden will; eine skurrile Geschichte, in der sich Realität und Wahn vermischen.
Die Bandbreite ist weitgespannt, bietet für jeden Geschmack etwas, überrascht und verblüfft, schockt und lässt Erinnerungen an eigene Erlebnisse aufkommen.