Die Insel der besonderen Kinder (Film)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 31. Oktober 2016 18:56

Die Insel der besonderen Kinder
USA 2016, Regie: Tim Burton, mit Asa Butterfield, Eva Green, Judy Dench, Samuel L. Jackson u.a.
Rezension von Gunther Barnewald
Der Film basiert auf dem Bestseller von Ransom Riggs aus dem Jahre 2011, der 2013 erstmals auf Deutsch als Hardcover beim PAN-Verlag (ein Imprint der Droemerschen Verlagsanstalt) erschienen ist und wegen der phantasievollen Geschichte und der im wahrsten Sinne des Wortes zauberhaften alten Photographien für Aufsehen sorgte.
Dass ein Regisseur wie Tim Burton sich von diesem wunderbar altmodisch wirkenden Buch und der hier erzählten Geschichte angezogen fühlt, ist nur nachvollziehbar, zumal sich der Roman um das Schicksal von menschlichen Außenseitern dreht. Oft junge Menschen, die eine ganz besondere Fähigkeit aufweisen. Im Gegensatz zu den üblichen Comic-Verfilmungen machen diese Talente die Kinder aber nicht zu Superhelden, sondern zu Außenseitern der Gesellschaft, deren Leben ob ihrer absonderlichen Spezialfertigkeiten gefährdet ist, denn die Normalbürger reagieren mit Angst, Schrecken und Gewalttätigkeiten auf die unheimlichen Begabungen.
So werden diese meist jungen Menschen von speziellen Wesen beschützt, die ebenfalls auf besondere Weise talentiert sind: Sie werden Ymbrynen oder Syndrigasti genannt und können sich einerseits in Vögel verwandeln und andererseits die Zeit manipulieren (im Film werden die beiden hier auftretenden Beschützer gespielt von einer dämonisch guten Eva Green, während die Grand Dame Judy Dench nur einen äußerst kleinen und eher bemitleidenswerten Auftritt haben darf!). Mit öetzterer Fähigkeit können diese Frauen Zeitschleifen erschaffen, die es allen Begabten ermöglichen, bei vollem Wissen immer wieder den gleichen Tag zu erleben, ohne zu altern (im Film wird das Zurücksetzen der Zeitschleife in einer wunderprächtigen Szene aufs Eindrucksvollste demonstriert!).
Während normale Menschen keine Ahnung von diesen Zeitschleifen haben, gibt es aber andere, ältere Menschen, die ebenfalls besondere Talente haben, und die davon träumen, mit Hilfe der Kinder Unsterblichkeit zu erlangen. Angeführt von ihrem bösen Mastermind Barron (gespielt von Samuel L. Jackson, der die Rolle mit sichtlicher Freude und viel Verve ausfüllt) versuchen diese Talente, der besonderen Kinder und ihrer Beschützer habhaft zu werden, um grauenvolle Experiment an ihnen durchzuführen oder durch den Verzehr ihrer Augen wieder menschliche Gestalt anzunehmen, da bei einem früheren Versuch eine gravierende Störung auftrat, sich die Experimentatoren in Schreckensgestalten verwandelt hatten, die Hallows oder Hallowgasts genannt werden. Und so entbrennt der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Unschuld und Verführung auch in dieser Geschichte…
Dass dabei weder die Literaturvorlage noch der Film trivial wirken, ist den großen Talenten zweier Meister zu verdanken: Während der Autor Ransom Riggs in seinem Debüt-Roman einen dermaßen phantasievollen und innovativen Kosmos in literarischer Form erschuf, dass dem Leser Hören und Sehen vergeht (oder besser dies auf eine neue Stufe gestellt wird), kreierte Regisseur Tim Burton ein filmisches Meisterwerk, welches man gar nicht hoch genug loben kann.
Nach zuletzt sehr mäßigen und leider auch nicht besonders einfallsreichen Filmen lag hier offensichtlich ein geniales Drehbuch von Jane Goldman vor, welches die Stärken der literarischen Vorlage bündelte und zudem die Geschichte schon mit diesem einen Film zu Ende bringt (denn die Vorlage von Riggs ist eine Trilogie, deren Abschlussband Anfang November 2016 endlich in Deutschland erscheinen soll).
Offensichtlich hatte Burton keine Lust, zwei Fortsetzungen zu drehen, was dem Film aber erstaunlicherweise gar nicht geschadet hat. Wer die Vorlage kennt, wird überrascht sein wie elegant Regisseur und Drehbuchautorin die Handlung zu einem wunderbaren Abschluss bringen (obwohl Fortsetzungen durchaus möglich wären, aber nicht zwingend erforderlich!).
Die größte Stärke des Films ist, neben der tollen Grundidee und den hervorragenden Schauspielern, die unglaublich schöne und romantische Optik, die niemals übertrieben wirkt, nie zum Selbstzweck wird und die an keiner Stelle der Handlung die Show stiehlt.
Dies ist das eigentliche Verdienst von Tim Burton in diesem Film, denn der Regisseur neigt manchmal dazu, mit optischen und computergenerierten Effekten einen Film dermaßen zu überladen, dass diese sowohl Handlung als auch Figuren erschlagen.
Nicht so in diesem Film: Alles hat Stil, die Atmosphäre ist superb und das Gleichgewicht zwischen den Figuren, der Handlung und der Optik wird jederzeit gewahrt und ist perfekt austariert. Selbst in den spektakulärsten Einstellungen (so zum Beispiel wenn ein gesunkenes Schiff vom Meeresboden dank des Talents einer jungen Frau gehoben wird oder wenn ein kleines Mädchen Pflanzen zum Wachstum anregt) stellen sich die Effekte immer in den Dienst der Menschen und der erzählten Geschichte. Auch die Anwesenheit des unsichtbaren Jungen wirkt wie selbstverständlich, ist jedoch ein echter Hingucker für den Zuschauer.
Und als ob dem noch nicht genug wäre: Auch der unheimlich wirkende Soundtrack des Films passt haargenau zur Atmosphäre, vertieft diese und lässt in einigen Szenen dem Zuschauer wohligen (oder nicht so wohligen) Schauder über den Rücken laufen.
Bei dem Film „Die Insel der besonderen Kinder“ passt einfach alles. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass der Film in den USA am Startwochenende die Nummer 1 der Kino-Charts war, dass er seine Produktionskosten wohl schon nach wenigen Wochen eingespielt hatte und sowohl Zuschauer als auch Kritiker recht einhellig begeistert waren von einem Meisterwerk, welches man auch unbedingt auf der großen Kinoleinwand gesehen haben sollte.
Dieser Film ist endlich wieder Tim Burton in Höchstform und es ist nicht nur die würdige Verfilmung einer grandiosen Literaturvorlage, sondern auch ein absolutes Meisterwerk des Phantastischen Films.
Tolle Ideen, prickelnde Spannung (wohl dosiert), eine großartige Optik (und dabei sind nicht nur die Computereffekte gemeint, sondern vor allem die irren Kostüme von Colleen Atwood und sensationell schöne Objekte wie die verwunschene Villa in der Zeitschleife und das vormalig gesunkene Schiff mit seiner ganzen „Patina“), einen wunderbaren Soundtrack, bestrickende Schauspielerleistungen (vor allem Eva Green, Samuel L. Jackson und Georgia Pemberton sind hier zu nennen) und eine absolut märchenhafte Atmosphäre, die den Zuschauer mit Haut und Haaren packt und bis zum Ende nicht mehr aus ihren Klauen lässt (zum Glück ist es kein Hallowgast, der einen packt!).
So geht Kino und so sollte es immer sein, wenn man sich einen Film anschaut, in dem man den speziellen Sense of Wonder erwartet, den nur die Phantastik bieten kann.
Die 3D-Effekte sind dabei zwar nicht unbedingt notwendig, sie verhelfen diesem nahezu perfekten Film aber zu einer schönen raumtiefen Hochglanzoptik, die man sich wahrlich nicht auf der großen Kino-Leinwand entgehen lassen sollte!