Sonja Rüther (Hrsg.): Aus dunklen Federn 2 (Buch)

Sonja Rüther (Hrsg.):
Aus dunklen Federn 2
Titelillustration von Alex Malikov
Briefgestöber, 2016, Taschenbuch, 400 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-9815574-7-3 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Haben Sie ein Faible für das Unheimliche? Fühlen Sie auch wohlige Schauer über ihren Rücken rinnen, wenn Sie einen wirklich guten phantastischen Film anschauen? Oder lieben Sie es, sich in einem guten Buch zu verlieren, den Protagonisten auf ihrem vom Schicksal vorgeschriebenen Weg ins Unglück zu folgen? Nun, wenn Sie eine oder mehrere dieser Fragen mit einem mehr oder minder zögerlichen Ja beantwortet haben, dann hätte ich vielleicht etwas für Sie.

Zum zweiten Mal rief Sonja Rüther die Crème de la Crème der deutschsprachigen Horror-Schriftsteller, und diese nahmen den Ruf auf und lieferten prompt und mit Begeisterung beeindruckende Beispiele ihres Könnens an die Verlagsinhaberin und Herausgeberin.

Wer nun aber den simplen Grusel bekannter Heftserien sucht, wer gerne in unmotivierten Strömen von Blut und Innereien watet oder die plakative Darstellung roher, sinnloser Gewalt oder pornographischer Exzesse sucht, der ist hier falsch. Was die Verfasser uns hier präsentieren, das umfasst thematisch zwar eine große Bandbreite, hat aber immer Niveau. Stilistisch durchgängig ansprechend warten Geschichten darauf, dass Sie sich für sie Zeit nehmen, die genau das, nämlich die Zeit, die Sie in sie investieren, wert sind. Da sind Erzählungen dabei, die verstören, die einen ob der geschilderten Vorkommnisse schaudern lassen, Storys, die die Angst der Protagonisten intensiv nachvollziehbar vermitteln, Geschichten, die uns erst beim zweiten Mal Nachdenken so richtig, dann aber wirklich, packen und verstören.

Ja, „Aus dunklen Federn 2“ ist eine Horror-Anthologie, der genau dies, ihre Leser durch die Furcht, die beim Lesen entsteht, an die Seiten zu bannen gelingt. Und die Autoren erreichen ihr Ziel ein ums andere Mal auf ganz eigenen, überraschenden Wegen.

Erstaunlich dabei, wie es Sonja Rüther gelingt, auch Bestseller-Autoren, die eigentlich eher im Bereich mehrbändiger Zyklen unterwegs, sind für ihr Projekt zu verpflichten. Zu erwähnen ist noch die Besonderheit, dass jeder der Verfasser seinen Beitrag zu Beginn optisch mittels einer Zeichnung selbst einführt. Nun ist sicherlich nicht ein Jeder, der zur Feder respektive in die Tastatur greift, ein begnadeter Zeichner, doch die Motiv-Auswahl und die Umsetzung stimmen nicht nur auf den Inhalt ein, sondern beleuchten so manches Mal auch einen Aspekt der Erzählung, der uns sonst vielleicht nicht so aufgefallen wäre.


Inhaltlich wartet ein bunter Strauss an Preziosen auf den Leser.

Da begegnen wir in Christian von Asters „Der Groll“ einer jungen Familie, die dem Lärm und dem Stress der Großstadt entfliehen will und aufs Land zieht - nur um dort von ihrem störrischen alten Nachbarn heimgesucht zu werden. Als sie versuchen, sich des Problems anzunehmen, machen sie eine verstörende Entdeckung.

Anschließend wandeln wir in Nicole Zöllners „Photosynthese“ auf den Spuren unserer Schulzeit, als wir einen Biologielehrer kennenlernen, der in seinem Unterricht ganz besonderen Wert auf die Photosynthese legt - sehr zum Leidwesen seiner Schülerinnen, die beim Nachsitzen eine grausige Entdeckung machen.

Was macht der Hunger nur aus Menschen? Selbst ein Meisterdieb geht, bedingt durch den Hunger und die Erkrankung seiner Schwester, in Thomas Finns „Meister Camamitas’ erstaunliche Kuriositäten“ enorme Risiken ein, als er bei einem Zauberer auf Beutezug geht - und erwischt wird.

Anschließend folgen wir in Vincent Voss’ „Der flüssige Bob“ einer Expedition, die 1955 den bei den Indios verpönten Pfad der schlechten Träume zum Gipfel eines Vulkans folgt - und dabei von mysteriösen Schatten heimgesucht und ins Verderben gelockt wird.

In Markus Heitz’ „Gesprächsfetzen“ droht die Welt unterzugehen. Nur wenn es einem YouTube-Blogger gegen alle Wahrscheinlichkeit gelingt, eine Frau wach zu halten, kann das Verderben aufgehalten werden. Doch zunächst muss er dazu die Nummer der mysteriösen Frau herausfinden - und dann…

Klassentreffen sind immer eine Zeit, sich an die eigene, lang verflossene Jugend zu erinnern. In Boris Kochs „Im Haus des toten Clowns“ aber warten unerzählte Geschichten darauf, dass sie ein Opfer finden, was zu unerfreulichen Begleiterscheinungen führen kann.

Warum sich der weltbeste Horror-Autor zurückgezogen hat und unter seinem bekannten Pseudonym nichts mehr veröffentlicht, das berichtet uns Stefan Cernohuby in „Mein anderes Ich“ - und im Nachhinein können wir unseren Schreiberling gut verstehen, dass er auf Ruhm und Geld verzichtet, übernimmt sein alter Ego doch…

Wohin nur mit all den alten Menschen, die niemand mehr brauchen kann? Die Elefanten machen es vor, wenn sie sich, sobald die Zeit ihres Ablebens gekommen ist, zu ihrem Friedhof begeben. Auch die alten Menschen zieht es an die ihre letzte Ruhestätte - das norddeutsche Watt übt in Sonja Rüthers „Elefantenfriedhof“ seinen ganz eigenen Reiz auf die Alten aus.

Sommerferien können ganz schön öde sein, insbesondere, wenn alle Freunde weggefahren sind und auch die eigene Mutter unterwegs ist. Einsamkeit, Langeweile und das Monster des Nachtlichts geben sich in Thomas Lisowskys „Chupa“ ein Stelldichein der besonderen, der beängstigenden Art.

In Kai Meyers „Schau hin!“ wird die Faszination des eigenen Bildes im Kerzenlicht beschrieben, bevor Hanka Jobke in „Die Welt am Abend“ von einer Zukunft berichtet, in der Vegetarier die gesetzlich verordnete Regel sind und das Ziehen von Pflanzen untersagt ist - was die Menschen nicht davon abhält, das Verbotene zu suchen.

Als Bonus warten dann noch vier weitere Beiträge auf den Leser. So erzählt Thomas Finn in „Der Schrei“ von dem Schicksal einer schottischen Banshee, Boris Koch in „Die Hexe und der Folterknecht“ von der Arbeitspause eines gestressten Folterers, Vincent Voss in „Frühlingserwachen“ von der Heimsuchung eines Wohnwagenparks durch exotische Spinnen bevor Sonja Rüther in „Peter“ den Band mit einer Zombiegeschichte abschließt.


Als Fazit bleibt, dass es dem Verlag und der Herausgeberin nach dem beeindruckenden letztjährigem Debüt der Reihe erneut gelungen, ist uns eine veritable Anzahl von neuen Horror-Geschichten namhafter Autoren zu präsentieren, die niveauvoll schocken, gruseln und verstören - eben genau das, was man von einer guten Horror-Anthologie erwartet.