Tanja Meurer: Die Seelenlosen - Die Stadt der Maschinenmagie 1 (Buch)

Tanja Meurer
Die Seelenlosen

Die Stadt der Maschinenmagie 1
Titelillustration von Timo Kümmel
Incubus, 2016, Taschenbuch, 700 Seiten, 16,00 EUR, ISBN 978-3-945569-02-3 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Einst war er der Kriegsheld des Reiches. Nachdem ihn an der Front eine nekromantische Kugel erwischt hat, wurde er in die Hauptstadt versetzt und leitet nun, als frisch bestellter Commandant im Dienst des Prinzen, die Garnison der Metropole. Seine nicht heilenden Wunden belasten ihn, mehr noch aber, dass sein Geliebter, ein Orc, ihm immer fremder wird.

Noch nicht richtig in der Stadt angekommen, wird er vor seiner Unterkunft in einen mysteriösen Vorfall verwickelt. Ein Händler wird, offenkundig durch dunkle Magie, von einem Puppenspieler übernommen und bedrängt einen Schmied. Noch in der Nacht wir der Verdächtige in seiner Zelle förmlich in Stücke gerissen. Damit nicht genug, hebt ein altes, längst vergessen geglaubtes Übel sein Haupt in Valvermont. Schwangere Frauen werden bei lebendigem Leib aufgeschnitten, ausgeweidet, ihre Leibesfrucht entnommen und am Tatort zurückgelassen. Der einzige Zeuge, der Dieb Jaleel, berichtet von einer spinnenartigen Maschine, die die Tat begangen haben soll.

In all diese Vorgänge scheint nicht nur Gwenaels Liebhaber Orin, sondern auch seine eigene Familie, die er vor 20 Jahren verließ, verwickelt zu sein. Gemeinsam mit Jaleel sowie weiteren Verbündeten begibt Gwenael sich auf die Spur der Täter, wohl wissend, dass höchste Kreise der Stadt, seine eigene, mafiöse Familie und sein früherer Liebhaber in die Taten verstrickt sind…


Tja, was ist dies für ein umfangreicher Roman, der vor mit liegt?

Der Leser wird sofort und ohne große Einleitung nach Valvermont und ins Verbrechen versetzt. Erst nach und nach wird die Stadt, in der die Verbrechen begangen werden, deutlicher. Wir finden uns in einer Metropole wieder, in denen erste mechanische Erfindungen von sich Reden machen, in der Magie neben mittels Dampf angetriebenen Maschinen existiert und in der Rassen unterschiedlichster Herkunft leben.

Orcs, Zwerge, Zauberer, das verbindet der Leser gemeinhin mit der Vorstellung einer High-Fantasy-Handlung im Stile eines „Herrn der Ringe“. Weit gefehlt, denn was die Autorin hier für den Rezipienten bereithält, das ist ein waschechter Fantasy-Krimi. Es geht um nichts Anderes als darum, hinter das, nein hinter die Geheimnisse um die mysteriösen Verbrechen zu kommen.

Wie passen die von Nekromanten übernommenen Figuren zu den von einer unbekannten Maschine verübten Morde, wer steckt hinter den Taten und warum werden diese verübt? Fragen, die sich unserem wackeren, vom Schicksal schwer geschlagenen Commandanten stellen.

Ungewöhnlich ist dabei, dass Meurer in die spannend aufgezogene Handlung ganz wichtige Fragen einbaut. Schon zu Beginn überrascht sie uns mit einem Protagonisten, der in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebt. Dazu gesellen sich in den von Gwenael rekrutierten Helfern gar merkwürdige Figuren. Ein junger, schwuler Dieb aus dem Feuervolk, ein alkoholabhängiger Capitaine, ein auf den ersten Blick behäbiger, korrupter Wächter, ein uninteressierter Magier, ein detailversessener Erfinder und eine mannstolle adipöse Wäscherin unterstützen unseren Kriegsheimkehrer bei seinen Ermittlungen. Hier geht es verklausuliert um Rassismus, um die Fähigkeit, Andere zu nehmen wie sie sind, sie zu akzeptieren und zu achten, gleich wie sie ihr Leben leben möchten. Das sind, gerade für einen Fantasy-Roman, ungewöhnliche Topics.

Getragen wird der Roman, in dem dem Leser eben einmal nicht alles vorgekaut wird, in dem er selbst mitdenken muss, ganz eindeutig von den Figuren. Sie alle werden interessant, vielschichtig und mit jeder Menge Ecken und Kanten gezeichnet. Jede der Gestalten hat sein Päcklein zu tragen, erscheint auf den ersten Blick bekannt, ja stereotyp - nur um uns dann in der Folge zu überraschen.

Im Verlauf der Ermittlungen entfaltet der Plot eine deutliche Dynamik, bis die Autorin im letzten Viertel des Buches offensichtlich entschieden hat, einen zweiten Band hinzuzufügen.

Ab diesem Zeitpunkt werden Info-Dumps eingestreut, warten Ausführungen zu Gesellschaftsstruktur, den Gilden und Orden auf uns - bis die Handlung mitten in einer der packendsten Szenen des Buches abrupt abbricht; Cliffhanger nennt man so etwas, wobei man bei einem Umfang von 700 klein gesetzten Seiten doch eigentlich ein ins sich abgeschlossenes Werk erwarten würde.

Viel wird hier zum Ende des Buches angedeutet, Hinweise gestreut, Rassen, wie die Gestaltwandler, die dem Prinzen als Leibwächter dienen. eingeführt, ohne dass wir schon ahnen, wie dies alles letztlich in die Vorgänge passt.

So wird die Zeit bis zum Erscheinen des zweiten Teiles lang werden, zumal uns die dichte Atmosphäre der Stadt und ihrer Bevölkerung, die pointierte Zeichnung der Figuren und die immer wieder aufblitzende Ironie im Text uns in ihren Bann gezogen hat.