Asterix 36: Der Papyrus des Cäsar (Comic)

Jean-Yves Ferri & Didier Conrad
Der Papyrus des Cäsar
Asterix 36
Übersetzer: Klaus Jöken
Ehapa, 2015, Hardcover, 48 Seiten, 12,00 EUR, 978-3-7704-3890-7

Von Irene Salzmann

Gaius Julius Cäsar plant, seine ‚Kommentare zum Gallischen Krieg‘ zu veröffentlichen. Auf Anraten des Literaturagenten Rufus Syndicus streicht er jedoch eine wichtige Passage: ‚Rückschläge im Kampf gegen die unbeugsamen Gallier in Aremorica‘. Cäsar sieht ein, dass es für sein Image besser ist, diesen kleinen Schönheitsfehler in seinem ansonsten erfolgreichen Krieg zu verschweigen, insbesondere da er sich vom Senat die Mittel für weitere Feldzüge erhofft.

Syndicus lässt das Buch von seinen stummen Schreibern ändern, doch einem von ihnen gelingt es, mit dem ursprünglichen Text zu fliehen und diesen einem Gallier auszuhändigen. Der politische Aktivist Polemix, der nicht will, dass die Wahrheit unterschlagen wird, bringt den Papyrus im Dorf der unbeugsamen Gallier in Sicherheit. Aber Majestix und seine Leute haben zunächst nicht die geringste Ahnung von der Brisanz der Schriftrolle.

Als Miraculix zusammen mit Asterix und Obelix zum Karnutenwald aufbricht, um dieses Wissen dem Druiden Archaeopterix anzuvertrauen, der für die Verwahrung und Weitergabe der mündlichen Überlieferungen zuständig ist, bereiten die Römer längst einen Angriff auf das Dorf vor. Sie sind bestrebt, den Papyrus in ihren Besitz zu bringen, bevor sein Inhalt publik wird und Cäsars Zorn sie trifft. Gleichzeitig verfolgt eine kleine Gruppe Legionäre Asterix und seine Freunde…


Nun, den Esprit von René Goscinny vermisst man auch in diesem „Asterix“-Band ein wenig, doch kann Autor Jean-Yves Ferri auf jeden Fall mit den Ideen von  Albert Uderzo mithalten, sodass der Leser keinerlei Brüche bemerkt. Auch wenn der obligatorische Auftritt der Piraten, einer der Running Gags, weit hergeholt ist, wird er geschickt an der passenden Stelle eingebunden. Das gleiche gilt für die anderen Standard-Situationen, die zu jedem Album gehören, wie Obelix‘ Verdruss, wenn er keinen Zaubertrank bekommt oder zu wenige gebratene Wildschweine für ihn da sind, und natürlich auch der ewige Zank zwischen dem Schmied Automatix und dem Fischhändler Verleihnix, die missverstandene Kunst des Barden Troubadix und Gutemines Anspruch, als Frau des Häuptlings vorrangig behandelt zu werden usw. usf.

Trotz dieser wiederkehrenden Motive, für die stets zwei, drei Panels oder Randbemerkungen berücksichtigt werden, wird eine durchgehende, flüssige Handlung inszeniert: Cäsar lässt sich zu einem Fehler hinreißen, den seine Leute aus Angst vor seiner Rache und schließlich er selbst wegen des befürchteten Imageschadens zu korrigieren versucht. Die Gallier brauchen eine Weile, um erst einmal zu begreifen, worum es geht: um die Wahrheit! Damit sie nicht in Vergessenheit gerät, soll sie wie das ganze Wissen des Volkes von den Druiden aufbewahrt werden. Während sich Asterix und seine Kameraden dieser Aufgabe widmen, geht im Dorf der übliche Hickhack weiter, und selbst die römische Armee vor den Toren wird als weniger wichtig erachtet als die internen Konflikte. Natürlich gibt es letztendlich wieder eine mächtige Keilerei und eine zufriedenstellende Lösung nebst einer witzigen Hommage.

Das Thema scheint bewusst gewählt: Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit, Investigationsjournalismus und das Aufdecken von Lügen, der Kampf für die Wahrheit trotz Angst vor Verfolgung durch Diktatoren und Kreise, die nur ihre eigene (verquerte) Weltanschauung tolerieren - und, um Rosa Luxemburg zu zitieren: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“. Nach dem Anschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ am 7. Januar 2015 in Paris beziehen die Künstler Position und stellen klar, dass man sich nicht von den Feinden der Demokratie, des Rechts und der Freiheit einschüchtern lassen will.

Freilich sind auch etliche andere Anspielungen auf zeitgenössische Entwicklungen enthalten, zum Beispiel: Der Buchhandel, verkörpert durch Rufus Syndicus, setzt auf Mainstream und Inhalte, die sich gut verkaufen lassen, aber weniger auf Innovation und Wahrheit. Die fleißigen Brieftauben, die Kurznachrichten transportieren, stehen für den permanenten SMS- oder WhatsApp-Austauch. Polemix, der geheime Informationen an die Öffentlichkeit bringt, erinnert optisch an Julian Assange („Wikileaks“). Das sind feine Details, die dem 36. „Asterix“-Band mehr Substanz verleihen, als es im ersten Moment den Anschein hat. Schade nur, dass man die Texte nicht im französischen Original vorliegen hat, denn gewiss lässt sich nicht jeder Witz 1:1 ins Deutsche übertragen.

Hinsichtlich der Illustrationen gibt es überhaupt nichts auszusetzen. Didier Conrad hat Albert Uderzos Stil verinnerlicht. Die Figuren sehen genauso aus, wie man sie kennt, und auch die Gestaltung der Action-Szenen sowie der ruhigeren Momente lassen nichts zu wünschen übrig. Stets gibt es kleine, liebevoll gezeichnete Details, die man über die Haupthandlung nicht übersehen sollte, wie die Aktionen von Idefix, anderen kleinen Tieren und jenen Charakteren, die bloß bescheidene Rollen innehaben beziehungsweise als Statisten fungieren. Die stimmungsvolle, bunte Kolorierung verleiht den Panels den letzten Pfiff.

Es ist immer schwer, eine prominente (Comic-) Serie wie „Asterix“, die von zwei Künstlern - René Goscinny und Albert Uderzo - nachhaltig geprägt wurde, so weiterzuführen, dass der Spagat zwischen Tradition und Hommage sowie frischen Ideen und Eigenständigkeit gelingt. Das hat unter anderem bei „Lucky Luke“ und „Hägar“ geklappt - und bei „Asterix“ funktioniert es auch. Es wird einfach Zeit, bei aller Liebe zu René Goscinnys großartigen Texten, loszulassen und Jean-Yves Ferri und Didier Conrad als souveräne Künstler zu akzeptieren, frei vom erdrückenden Erbe ihrer Vorgänger.

„Der Papyrus des Cäsar“ ist ein anspielungsreicher, witziger Band, der die Reihe wieder auf den Weg schickt und nicht unterschätzt werden sollte.