Selma J. Spieweg: Tod dem Zaren – Clockwork Cologne (Boris & Olga 1) (Buch)

Selma J. Spieweg
Tod dem Zaren
Clockwork Cologne (Boris & Olga 1)
Titelbild und Innenillustration von Selma J. Spieweg
Qindie, 2014, Paperback, 476 Seiten, 15,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Vor vierzig Jahren meinten britische Magitroniker, dass sie mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten in der Lage wären, die Welt aus den Angeln zu heben. Das Experiment gelang, seitdem sind weite Teile der Britischen Inseln unbewohnbar und ein Binnenmeer reicht bis zur neuen Küstenstadt Cöln ins ehemalige Festlan; und die Machtbalance hat sich gleich mit entscheidend verschoben. Dies gilt nicht nur für das Empire, das nun in den Kolonien mehr schlecht als recht aufrecht gehalten wird, dies gilt auch für das Reich des Zaren Nicolaus II..

Seit Jahren bedrängen die Truppen des Sultans die Kosaken, befinden sich die Russen auf dem Rückzug. Um die drohende Niederlage noch zu vermeiden, sollte eine mittels Quantenmagie geschaffene Armee aus unbesiegbaren Blauen Kriegern den Kampf für Zar und Reich aufnehmen. Freiwillige wurden bestimmt und operativ verändert. Nun ein einziger Soldat, einer von weit mehr als 1000 Männern, überlebte die Veränderung, bevor das Projekt jäh und brutal gestoppt wurde. In dem Krater, in dem früher die Forschungsbaracken standen, werden nun die von den marodierenden Aasgeiern gefangengesetzten Sklaven gehalten, bis sie in einem grausamen Todeskampf die so begehrten blauen Steine aushusten.

In dieser Welt begegnen sich drei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Boris, der einzige überlebenden Freiwillige, war und ist bei seinen Kameraden als Glücksfresser verschrien. Während rings um ihn seine Kameraden sterben, scheint sich alles Glück auf ihn zu konzentrieren. Während die Lebenserwartung der Soldaten sonst bei maximal 5 Jahren liegt, hat Boris bereits 45 Jahre im Kampf überstanden. Er sieht sich selbst als treuester Soldat des Zaren. Seine revolutionäre Energiequelle weckt Begehrlichkeiten bei fast allen, die seinen Weg kreuzen.

Auftritt für die 12jährige Olga. Sie, die ihre Eltern im Kampf gegen den Zaren verloren hat, die sich mühsam als Diebin durchschlägt, ist auf der Flucht vor den Truppen des Sultans, als sie in der unwirtlichen Tundra auf Boris stößt. Mit ihren revolutionären Parolen kommt sie beim Zaren-Anhänger zunächst so gar nicht gut an, doch das Schicksal führt die beiden so Ungleichen immer wieder zusammen.

Auf ihrem Weg durch die Wildnis werden sie von Aasgeiern gefangengenommen, fliehen, treffen auf den ebenfalls auf der Flucht befindlichen Zaren und bilden mit diesem eine gar unglaubliche Allianz…

Was passiert, wenn sich drei engagierte Autorinnen als Steamsisters zusammenschließen und beschließen, dem Steampunk ihre Kräfte zu widmen? Unter der Reihen-Bezeichnung „Clockwork Cologne“ haben sie sich eine gemeinsame Welt ersonnen, in der sie ihre jeweils ganz eigene Handlung ablaufen lassen. Berührungspunkte zwischen den Romanen soll es geben, ansonsten hat jede der Sisters die Freiheit, ihren Plot ganz nach eigenem Gutdünken zu gestalten.

Selma J. Spieweg nutzt die Freiheit in erster Linie dazu, uns faszinierende Gestalten vorzustellen. Mit dem Soldaten Boris, der Zeit seines Lebens nichts anderes gelernt hat, als für seinen Zaren zu kämpfen und zu töten, stellt sie uns einen einfachen Menschen vor, dem das Schicksal übel mitgespielt hat. Vereinsamt, gemieden und verpönt ist er ein Mensch, der trotz oder vielleicht gar wegen seiner quantenmagischen Aufrüstung eine tragische Gestalt ist. Als er der vorlauten, die revolutionären Parolen lautstark von sich gebenden Olga begegnet, müssten sie eigentlich aneinander hochgehen wie die sprichwörtlichen Katzen. Stattdessen aber entwickelt sich, von der Autorin sehr einfühlsam und dadurch überzeugend beschrieben, nach und nach eine Freundschaft. Olga selbst ist ein aufmüpfiges Kind, das eigentlich nerven sollte. Stattdessen aber nimmt sie uns durch ihre Treue zu denen, die sie als ihre Freunde ansieht, für sich ein, verblüfft durch ihre energiegeladene, anpackende Art und stellt das ideale Gegenstück zu dem eher ruhigen Boris dar.

Erst relativ spät gesellt sich mit dem inkognito reisenden, von einem Doppelgänger ersetzten Zaren eine dritte Figur hinzu, der später noch Tolstoi folgen soll. Nicolaus II. wird zunächst als überheblicher Machtmensch dargestellt, der zur Erreichung seiner Ziele bereit ist, im wahrsten Sinn des Wortes über Leichen zu gehen. Seiner Stellung und Machtmittel verloren gegangen, wird er von der Situation aber immer wieder auch von Olga gezwungen, seine Handlungen und Einstellungen zu hinterfragen.

Dieses Trio prägt den Roman, der die Steampunk-Errungenschaften vornehmlich als Hintergrund-Ideen einsetzt um uns die Schicksale seiner Hauptpersonen nahezubringen.

Die Autorin hat als Werbefachfrau zusätzlich zu der über Amazon zu beziehen Paperback-Ausgabe auch eine kleine private Ausgabe drucken lassen, in der sie die von ihr gefertigten Innenillustrationen in Farbe beigefügt hat. Auf der Buchmesse konnten die Interessierten darüber hinaus lebensgroße Pappmaschee-Figuren der Helden bewundern.

Zwar ist das Abenteuer in sich abgeschlossen, doch bleiben genügend Ansatzpunkte für eine eventuelle Fortsetzung, die vielleicht ein Wiedersehen mit dem so ungleichen Paar für uns bereithält.