Ash (Comic)

Ash
(Ash 1: Anguis Seductor Hominum, 2: Faust)
Text: François Debois
Zeichnungen: Krystel
Übersetzung: Swantje Baumgart
Splitter, 2015, Hardcover, 96 Seiten, 19,80 EUR, ISBN 978-3-95839-009-6

Von Frank Drehmel

Wer bei Ash sofort an Ketchum und „Pokémon“ denkt, der sollte möglicherweise seine Lese- und Spiele-Präferenzen überdenken, denn selbstverständlich und naheliegenderweise handelt es sich um ein Akronym für Anguis Seductor Hominum, die Schlange, die die Menschen verführt. Allerdings ist Ash nicht buchstäblich eine Schlange, sondern ein zumindest äußerlich junges Mädchen an der Grenze zum Erwachsenwerden, das über erstaunliche Fähigkeiten und Eigenschaften verfügt; Attribute, die es gleichermaßen zum begehrten und gefürchteten Subjekt machen.

Über Jahrhunderte war Ash eine Gefangene, eingekerkert von bigotten Klerikern in einem düsteren Mausoleum! Doch dann wird sie erweckt! Von Faust, einem jungen Wissenschaftler, der, getrieben durch ein potenziell tödliches Handicap, hofft, von Ash das Geheimnis des ewigen Lebens zu erfahren, und der dabei über Leichen geht. Faust setzt das Kind nach der Befreiung in Prag erneut gefangen, um es zu befragen, erfährt jedoch selbst unter Anwendung von Drogen nichts Hilfreiches, da Ash große Teile der Erinnerung genommen wurden.

In einem Augenblick der Unachtsamkeit kann das Mädchen fliehen und findet sich kurz darauf in Gesellschaft einer Bande jugendlicher Diebe wieder, die das seltsam schöne Kind nicht nur freundlich aufnehmen, sondern sie zu einer Komplizin bei einem komplizierten Diebeszug machen. Infolge dieses Coups verschlägt es Ash in ein Mädcheninternat, wo sie zwar das Vertrauen der Matrone erringen kann, nicht jedoch das der Schülerin Kamila und ihrer Mädchenbande. Im Gegenteil, Kamila durchschaut die Neue sofort und versucht, sie zu manipulieren und in ihre Intrigen einzubinden.

Während einer Konfrontation der beiden ungleichen Widersacher manifestieren sich aus heiterem Himmel Ashs Fähigkeiten: sie kann den Tod von Menschen in Visionen sehen und sie ist in der Lage, die Menschen vor diesem Tod mittels eines Paktes und eines magischen Artefakts, dem sogenannten Schneidmesser, zu bewahren. Allerdings befindet sich dieses Schneidmesser in der Hand des Feindes und Faust macht weiterhin Jagd auf sie, wobei er nicht zögert, sich mit einem Klerus zu verbünden, der so gar nichts mit seiner streng wissenschaftlichen Sicht der Welt zu tun hat.

Und hier schließt sich der Kreis zu „Pokémon“, denn „Ash“ trägt trotz europäischer Wurzeln tiefe mangahafte Züge, sowohl in Bezug auf das Artwork, als auch das Storytelling.

Zunächst einmal weisen die Charaktere jene moralische Ambivalenz auf, die in der japanischen Comic-Kunst quasi zum Standard gehört; Personen – seien es hier Faust, Ash, Kamila oder selbst der Klerus – sind nicht schwarz oder weiß, gut oder böse, sondern handeln moralisch vielschichtig, wobei ihr Handeln nicht im motivlosen Raum schwebt, sondern – und auch das ist ein Merkmal vieler Mangas – nach und nach erklärt wird, in der Regel durch Traumata der Vergangenheit.

Zweitens verbindet Autor Debois frisch und ungezwungen die unterschiedlichsten Sujets, lässt Elemente des Historien-Dramas, aus Mystery und Steampunk, aber auch aus klassischer Literatur – Goethe und Dickens – in seine muntere, wendungsreiche und niemals langweilige Geschichte einfließen. Und wer möchte, findet sogar sachte Anklänge von Religions-, Wissenschafts- und Gesellschaftskritik. Zwar wird nicht jedes Rätsel gelöst und nicht jedes Logikloch geschlossen, aber die erzählerische Leichtigkeit, mit der des Lesers Fragen quasi weggelächelt werden, strahlt einen so einnehmenden Charme aus, dass das Nachsinnen über das Wieso, Weshalb, Warum an Bedeutung verliert.

Krystels Artwork hingegen ist weniger leicht zugänglich als die Geschichte. Wenngleich Seitenaufbau und Blickführung deutlich europäischer Leseart entsprechen, sind die Figuren selbst eindeutig mangahafter Natur. Der Schnitt der Gesichter, die vergleichsweise großen Augen, die liebevoll inszenierten Posen und Haare sowie das generell jugendliche Erscheinungsbild der Hauptprotagonisten lassen kaum Zweifel an den Inspirationsquellen der Künstlerin aufkommen. Bedauerlicherweise wirken viele Bilder bei allem phantastischen und märchenhaften Inhalt und der technischen Brillanz zu kühl, zu klar und zu distanziert, um das „Herz“ auf eine ähnlich intensive Weise anzusprechen wie beispielsweise Canepas und Merlis Serie „End“, die ebenfalls bei Splitter erscheint und die nach wie vor als visuelle Referenz herhalten kann.

Fazit: Eine routiniert geschriebene Geschichte, in der Steampunk, Mystery und History eine gefällige, spannende Verbindung eingehen. Zusammen mit dem zwar zauberhaften, jedoch in Teilen etwas kühl wirkenden Artwork eine heiße Empfehlung für jeden Fan japanisch angehauchter Comics.