Carol K. Carr: Mord im Lotushaus – India Black 1 (Buch)

Carol K. Carr
Mord im Lotushaus
India Black 1
(India Black – A Madam of Espionage Mystery, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Andreas Heckmann
Lyx, 2014, Taschenbuch, 314 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-8025-8681-1 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

India Black ist die Besitzerin des Lotushauses, einem Bordell, in dem die etwas besseren Kreise verkehren. Einer von ihnen, ein Politiker, stirbt unverhofft in den Armen seiner Gespielin Arabella, und um jeglichen Ärger zu vermeiden, will India die Leiche verschwinden lassen. Prompt wird sie dabei von dem mysteriösen Mr. French ertappt, der sich als Regierungsagent vorstellt und verspricht, das Lotushaus aus allem herauszuhalten, wenn India ihm die Mappe bringt, welche der Tote mit sich geführt hatte. Bedauerlicherweise ist diese jedoch ebenso unauffindbar wie Arabella.

Nur wenig später wird India entführt – zu einem Treffen mit einflussreichen Politikern und, natürlich, French. Inzwischen haben die Agenten herausgefunden, dass sich die wichtigen Dokumente in der russischen Botschaft befinden. Zusammen mit ihrer Freundin Rowena soll India den Botschafter durch zärtliche Lesbenspiele ablenken und die Mappe entwenden, anderenfalls verliert sie das Lotushaus. Zähneknirschend sagt sie zu, doch die Mission fliegt auf und endet in einem Desaster, was der treulosen Arabella, mit richtigem Namen Oksana, zu verdanken ist.

Um zu verhindern, dass die brisanten Informationen nach Russland gelangen, folgt French Major Iwanow und Oksana, die bei Dover nach Calais übersetzen wollen. Indras Pflicht ist getan, doch der persönliche Stolz veranlasst sie, sich French anzuschließen, denn sie will ihre Aufgabe erfüllen und mit Oksana abrechnen. Doch erneut kommt alles ganz anders, als erwartet…

So recht weiß man nicht, was man von diesem Roman halten soll. Weder handelt es sich um einen richtigen im viktorianischen Zeitalter spielenden Krimi, denn geschildert wird eine einzige kopflose Jagd, die letztendlich gar nichts an den folgenden Geschehnissen ändert (der Russisch-Osmanische Krieg), noch um eine Romanze mit Hindernissen, da die Beziehungen der Charaktere britisch unterkühlt bleiben und Standesschranken nicht überwunden werden. Es ist – o Wunder bei einem Lyx-Titel! – auch keine erotische Lektüre, denn die zeitweiligen Handlungsorte, das Lotushaus und die Betten der Adligen, halten nicht, was die Klischees versprechen.

Man möchte meinen, dass die Autorin selbst nicht recht wusste, welche Schwerpunkte sie setzen sollte/wollte. Vielleicht hat sie aber auch bewusst auf die Beschreibung pikanter Situationen verzichtet, womöglich weil ihr deftige nackte Tatsachen weniger liegen und – noch wahrscheinlicher – sie weitere „India Black“-Bände folgen lassen möchte („Gefahr für die Krone“ ist für Februar 2015 angekündigt), sodass sich die Plänkeleien mit French nicht zu schnell abnutzen dürfen, denn sobald ein Held zum Pantoffelhelden wird, geht ein großer Teil der Spannung unweigerlich verloren.

Eindeutig ist nur, dass Carol K. Carr einen starken, sympathischen Frauencharakter erschaffen wollte, mit dem sich das Publikum identifizieren kann, denn für diese Ära ist die Titelheldin schon ein moderner Blaustrumpf und gerissen dazu, schließlich versteht sie es, die Schwächen der Männer, vor allem ihre Arroganz und Selbstüberschätzung, wenn sie es mit einer ‚schwachen Frau‘ zu tun bekommen, zu ihrem Vorteil zu nutzen. Na, dasgefällt toughen Leserinnen bestimmt! Und wirklich sind es hier die Frauen, die die Hosen anhaben, während die Männer ihrer Rolle als ‚starkem Geschlecht‘ kaum gerecht werden, nicht einmal der attraktive, smarte French, der den einen oder anderen kleinen deus ex machina erst in allergrößter Not herausrückt. Ganz so sehr hätte dieser Punkt nicht auf die Spitze getrieben werden müssen.

Dadurch verstärkt sich nur der Eindruck, dass die Autorin Probleme mit dem Krimi-Konzept hatte und sich auf dem Gebiet der abenteuerlichen Komödie eigentlich wohler fühlt. Das bringt sie durch ihren Stil deutlich zum Ausdruck, denn die Geschichte wird aus Indias Sicht geschildert (1. Person), und sie spricht den Leser hin und wieder direkt an, zieht ihn auf diese Weise in die Handlung hinein. Dabei redet sie, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, teils sehr vulgär, teils drückt sie sich niveauvoll aus, was schon einen auffallenden Kontrast darstellt. Da man nichts über ihre Herkunft erfährt, mag das auf ein Geheimnis verweisen, welches eventuell später beleuchtet wird.

Die Ereignisse werden trotz einiger Gesprächsrunden schnell und kurzweilig abgespult. Um die Dokumente zurückzuholen, riskieren India, French und der Straßenjunge Vincent ihr Leben, wobei ihre Motive – von French einmal abgesehen, der ja nur seinen Job tut – sehr dünn erklärt werden durch Neugierde, Stolz und Abenteuerlust. Nicht minder dürftig sind die Pläne, die dazu führen sollen, den Russen die kritischen Informationen abzunehmen: kopfüber hinein in den Schlamassel, mit viel Glück wieder raus und sofort rein in den nächsten, ohne Pause.

So liest sich der Band durchaus vergnüglich, wenn man auf eine ausgereifte Krimi-Handlung und die typische Romanze verzichten kann. Doch bleibt die Frage, wer jetzt eigentlich die Zielgruppe ist? Mädchen und Frauen ab 15 Jahre, die turbulente Geschichten aus dem viktorianischen Zeitalter um eine selbständige, selbstbewusste Protagonistin mögen, die den harten Kerlen zeigt, wo der Hammer hängt?