Stan Lee: So zeichnet man Comics (Buch)

Stan Lee, David Campiti, John Buscema
Stan Lee: So zeichnet man Comics
Übersetzung: Jan Dinter
Panini, 2014, Paperback mit Klappenbroschur, 224 Seiten, 24,99 EUR, ISBN 978-3-95798-055-7

Von Irene Salzmann

Superhelden und -heldinnen in futuristischen Kostümen sowie in markigen beziehungsweise sexy Posen hatten schon immer ihre Fans. Diejenigen Leser, die gern zeichnen, haben sich zweifellos irgendwann einmal an einem Pin-up nach Vorlage oder frei Hand, vielleicht sogar an einem (kurzen) Comic versucht. Selbst wenn das Resultat ganz passabel war, so recht zufrieden ist man dennoch nicht gewesen, denn in der Gesamtheit war die Arbeit doch nicht ganz wie die Werke der großen Vorbilder. Vor allem die zeitgenössischen Künstler setzten neue Maßstäbe, sowohl von den Zeichnungen/Kolorierung als auch der Erzähltechnik her.

Freilich gab es im Laufe der Jahre schon so manchen Band, der versucht hat, ambitionierten Talenten zu zeigen, wie man zum Beispiel im Marvel-Stil zeichnet („How to Draw Comics the Marvel Way“). Dies trifft auch auf den vorliegenden Zeichen-Kurs zu, obschon einige der Beispiel-Figuren von anderen Verlagen ‚entliehen‘ wurden. Als Autor konnte Altmeister Stan Lee gewonnen werden, der maßgeblich an der Schaffung von so populären Charakteren und Serien wie „Spider-Man“, „X-Men“, „Hulk“ und so weiter beteiligt war. Auch die Namen der mitwirkenden Zeichner lesen sich wie das „Who’s Who“ der Comic-Künstler seit dem Silver Age.

Nach der Einführung, die unter anderem einen kleinen Rückblick auf die Geschichte des Comics beinhaltet, folgt eine Übersicht über das notwendige Handwerkszeug. Und Stan Lee geht mit der Zeit: Der Computer mit Grafiktablett, Scanner und Drucker als Hilfsmittel ist unverzichtbar, insbesondere für die Kolorierung; Zeichenkarton, Bleistifte, Federn, Tusche, Radierer, Schablonen und Lineale reichen längst nicht mehr.

Anschließend wendet sich der Autor den üblichen Grundlagen zu und demonstriert an immer aufwändigeren Bildern, wie aus geometrischen Körpern die gewünschte Figur oder das Objekt entwickelt werden. Eine wichtige Rolle spielen für eine perfekte Darstellung die richtige Perspektive und die (übertriebene) Verkürzung (die beispielsweise eingesetzt wird, um eine übergroße, auf den Betrachter zu schnellende Faust dramatisch zu inszenieren). Ein weiteres Kapitel ist dem anatomischen Aufbau des Körpers und den einzelnen Körperteilen gewidmet, wobei die Proportionen der Superhelden von denen realistisch gezeichneter Figuren abweichen (größer, langbeiniger, muskulöser). Nicht vergessen werden die unterschiedlichen Typen, dynamische Bewegungen, eine charakteristische Mimik und Gestik.

Auch wenn man dies alles verinnerlicht hat, schöne Zeichnungen ohne spannende Geschichte sind nur die Hälfte wert. Je nachdem, in welche Richtung man die Story treiben möchte, sind ein sinnvoller Name und ein passendes Kostüm für den Helden zu wählen. Ferner benötigt dieser eine stimmungsvolle Kulisse für seine Abenteuer, die nach den gleichen grundlegenden Prinzipien wie die Figuren erstellt wird. Der Lese-/Handlungsfluss, die ‚Kamera-Einstellung‘ und damit die Panel-Gestaltung sind wesentliche Themen, die ebenfalls behandelt werden.

Obgleich der Arbeit mit dem Computer große Aufmerksamkeit gewidmet wird, bleiben die Techniken mit der Hand nicht außen vor: Arten der Schraffur (Textur, Graunuancen) und winzige Details der Tuschung, Flexibilität beim Stil (einschließlich Anleihen beim Manga) und das Lettering werden berücksichtigt, bevor letztendlich die Kolorierung, die sich deutlich weiterentwickelt hat, und die Cover-Art thematisiert werden.

Abschließend gibt es Tipps für das Anlegen von Arbeitsmappen und das Einreichen eines Portfolios, dazu ein Verzeichnis weiterführender Bücher, Adressen/Websites von (amerikanischen) Zeichenschulen und Händlern für Zeichenbedarf.

Alle Ausführungen garniert Stan Lee mit Anekdoten und sehr vielen Abbildungen in Farbe und Schwarz-Weiß. Der interessierte Leser bekommt nicht zur gezeigt, was richtig ist, sondern auch anhand der Fehler, die selbst den Profis unterlaufen, soll er lernen. Der lockere Erzählstil und die zahlreichen, oft großformatigen Zeichnungen sorgen dafür, dass die Lektüre nicht zu theoretisch/textlastig ausfällt und das Auge des Betrachters auf seine Kosten kommt.

Natürlich ist der Titel nur eine Einführung, die durchaus eine Fülle an hilfreichen Erklärungen, Anregungen und natürlich Anschauungsmaterial beinhaltet. Man kann so manche interessante Information für sich herausziehen, sie durch themenspezifische Bücher vertiefen und durch reichliches Üben seinen Vorbildern näher kommen.

Infolgedessen ist Stan Lees „So zeichnet man Comics“ für die Freunde der Superhelden-Comics eine interessante Lektüre in vielerlei Hinsicht: Sie gibt einen knappen Überblick über die Geschichte des Comics aus der Sicht eines Künstlers, der einen Großteil dieser Zeit selbst erlebt hat, zunächst als Leser, dann als Autor, der mit namhaften Zeichnern zusammengearbeitet hat, und Herausgeber, sie erfreut durch viele ansprechende Abbildungen, wartet mit grundlegenden Informationen auf und verweist auf weiterführende Bücher und nützliche Adressen. Auch für Sammler von Comic-Artbooks und Sekundärwerken ein interessanter Titel!