Julia Karr: Die Wahrheit kommt ans Licht – The Sign 2 (Buch)

Julia Karr
Die Wahrheit kommt ans Licht
The Sign 2
(Truth, 2012)
Aus dem Amerikanischen von Bettina Spangler
cbt, 2014, Taschenbuch, 414 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-3-570-30788-5 (auch als eBook erhältlich)

Von Petra Weddehage

Nina lebt in einer Welt, in der Konsum und Sex an erster Stelle stehen. Mädchen werden zu sexsüchtigen Frauen erzogen. Doch sie wehrt sich gegen dieses Stigma. Sie will kein Sex-Teen sein. Aber an ihrem sechzehnten Geburtstag wird ihr trotz ihres Widerwillens ein Tattoo eingebrannt, das sie als vollwertige Sexpartnerin kennzeichnet. Die meisten Mädchen beugen sich diesem Zwang. Vor allem die jungen Frauen aus den Unterschichten sehen es als gute Chance, aus ihrem niederen Rang aufzusteigen.

Nina gelang es (in Band 1) dank ihrer Mutter, WELS, wie sich jene dafür verantwortliche Organisation nennt, zu infiltrieren. Entsetzt erfährt sie, dass noch minderjährige Mädchen an hochrangige Politiker verkauft werden, um durch diese Gefälligkeit politische Ziele leichter durchzusetzen. Die Mutter wurde mittlerweile von Ed, ihrem sadistischen Lebenspartner, getötet. Ninas Freundin Sandy wurde außerdem von ihm vergewaltigt und ebenfalls ermordet – und Nina sollte dasselbe Schicksal ereilen. Doch die junge Frau wehrte sich, sodass Ed ums Leben kam.

Einige Zeit später wird ihr Großvater verhaftet, da er einen illegalen Störsender benutzt hat. Daraufhin erleidet ihre Oma einen Herzanfall. Nur mit Hilfe ihrer Freunde schafft es Nina zu verhindern, dass ihre jüngere Schwester daraufhin in ein Heim kommt. Aufgrund ihrer Arbeit als Künstlerin erhält sie zudem Zugang zu Kreisen, die ihr helfen sollen, die korrupte Regierung zu entlarven. Es gibt viele Feinde in Ninas Leben, das ständig überwacht wird.

Doch der Teenager ist entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen und anderen Mädchen zu helfen. So gelangt sie zur Schwesternschaft. Als deren Mitglied fühlt sie sich erstmals frei und stark. Die gemeinsamen Aktionen sind jedoch alles andere als ungefährlich, und die Feinde sind ihr dicht auf den Fersen. Als ob das noch nicht genug Probleme sind, beginnt sie, Gefühle für Chris, den Bruder ihrer Freundin Wie, zu entwickeln. Aber eigentlich ist es Sal, dem ihr Herz gehört. Zudem meldet sich ihr Vater, den alle für Tod hielten, und er bittet sie, mit ihm in Kontakt zu bleiben.

Julia Karr entführt ihre Leserinnen in eine fiktive Welt, die für arme Menschen sehr düster und nicht gerade vielversprechend ist. Alle werden von der Regierung bis in die kleinsten Details ausspioniert. „Big brother is watching you“ ist hier keine Utopie, sondern grausamer Alltag.

Junge Mädchen werden genötigt, dem WELS-Programm beizutreten. Dafür müssen sie Jungfrauen sein. Es gibt viele Interessenten, die nur darauf warten, so ein junges, unschuldiges Ding in die Finger zu bekommen. Die Mädchen werden, bis auf wenige Ausnahmen, die Werbung für die Agentur machen sollen, als Sexsklavinnen verkauft. Zudem werden Übergriffe und Vergewaltigungen mit den Worten abgetan: „Die hat es doch so gewollt.“

Das erinnert an aktuelle Ereignisse. Man denke an die Gruppenvergewaltigungen in Indien, die oft ungestraft bleiben. Diese Männer sehen sich nicht als Täter, sondern sind der Meinung, dass es ihr gutes Recht ist, sich zu nehmen, was sie wollen, da Frauen als minderwertig angesehen werden. Das ist in unserer modernen Gesellschaft, in der die Menschheit plant, die Erde zu verlassen und den Weltraum zu erobern, ein krasser Gegensatz. Solange Frauen sogar in der realen Welt wie Vieh behandelt werden, kann ein solch hehres Ziel nur in weiter Ferne liegen. Ein Umdenken gerade in solch rückständigen, ja, primitiven und menschenverachtenden Gesellschaftssystemen muss schnellstens stattfinden. Gleichberechtigung und der gleiche Wert von Jungen und Mädchen sollte überall selbstverständlich sein.

Diese traurigen Bezugspunkte baut die Autorin sehr gut in ihre Geschichte ein. Ihre Protagonisten wirken real und bekommen im zweiten Teil noch mehr Tiefgang, da sie stetig weiterentwickelt werden.

Im ersten Teil wurde, durch Ninas Mutter, die diese Organisation ausspionierte, Nina in die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Widerstand hineingezogen. Dann beging die Mutter den fatalen Fehler, sich an Ed zu hängen, der sie letztendlich ermordete. Nina wiederum tötete in Notwehr Ed, nachdem dieser ihre beste Freundin vergewaltigt und umgebracht hatte.

Ihre Freundin Wei sowie deren Familie, die japanische Wurzeln besitzen und ebenfalls dem Widerstand um Ninas Vater angehören, bekommen in der Story viel Raum, damit man sie kennenlernen kann. Nina begegnet zudem weiteren Leuten, die alle einmal mit ihrem Vater in Kontakt waren. Zudem gibt es einen Gegenspieler, der ihr sehr gefährlich wird. Doch hier mehr zu verraten, würde zu viel von der Story vorwegnehmen.

Ein wenig Romantik ist ebenfalls vorhanden und erinnert durchaus an die Gefühlswirren der Protagonistin aus „Die Tribute von Panem“. Nina liebt Sal, doch da er kaum da ist und oft für ihren Vater arbeitet, ist er nicht immer erreichbar, wenn sie ihn braucht. Chris, Weis Bruder hingegen, entwickelt starke Gefühle für die tapfere Freundin seiner Schwester. Er ist immer da, wenn es ihr nicht gut geht oder sie Hilfe benötigt. So ist Nina in einem Zwiespalt, der jedoch, durch die gefährlichen Aktionen die sie ausführt, in den Hintergrund tritt.

Julia Karr trifft mit ihrer Geschichte den Nerv der Zeit. Immer wieder mahnen kluge Köpfe, dem Staat Einhalt zu gebieten, wenn es um Dinge geht, die den privaten Bereich des Volkes beschneiden. Die Spionage-Abteilungen der verschiedenen Länder machen ja noch nicht einmal vor der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel Halt und belauschten ihre Gespräche, die sie per Handy führt. Facebook und kleine technische Spielereien, die in Kameras, Fernseher und so weiter eingebaut sind, können ebenfalls durch eine entsprechende Software dazu benutzt werden, Privatpersonen heimlich auszuspionieren.

Die Autorin zeigt deutlich auf, dass wir uns aus unserer Komfortzone hinausbewegen müssen, um das Ruder noch herumzureißen, damit wir nicht eines Tages in einer Welt leben müssen, die uns genauestens vorschreibt, wie wir unser Dasein zu gestalten haben (siehe EU-Richtlinien über Glühbirnen, Staubsauger, Kaffeeautomaten, den Krümmungsgrad von Gurken und so weiter – lächerlich, aber wehret den Anfängen, denn als Nächstes kommt TTIP mit zahlreichen Risiken für den europäischen Verbraucher, angefangen bei Gen-Lebensmittel über ein Abspecken des Gesundheitssystems nach US-Vorbild und dem Verlust der Kommunen an den Rechten für das eigene Trinkwasser bis hin zur Möglichkeit, dass US-Konzerne europäische Länder außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit verklagen dürfen, wenn die ausgehandelten Auflagen nicht erfüllt werden, und, und, und …).

Daher ist die bewegende Story nicht nur für Jugendliche interessant. Der brisante Inhalt zielt auch darauf ab, erwachsene Leser zu ermutigen sich mit den Inhalten dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Diese ist so interessant und mit realen Möglichkeiten gespickt, dass die dramatische Fortsetzung mit Spannung erwartet werden darf.