Thorinth 1: Der Narr ohne Namen (Comic)

Thorinth 1
Der Narr ohne Namen
(Thorinth: Le fou sans nom)
Text & Artwork: Nicolas Fructus
Übersetzung: Tanja Krämling
Lettering: Kai Frenken
Splitter, 2009, Hardcover, 56 Seiten, 13,80 EUR, ISBN 978-3-86869-032-3

Von Frank Drehmel

Amodef, der Begründer der Kaste der Pellegren, der Doktoren des Bewusstseins, beschloss, einen gewaltigen, labyrinthischen Turm zu bauen, in welchem er und seine Mitforscher den Geheimnissen und Erkrankungen des Bewusstseins nachspüren konnten. Mit dem Bau betraute Amodef die alchimistische Archtitektin Esiath, die zwar das Gebäude auftragsgemäß entwarf, die aber zugleich ihre eigenen dunklen Pläne verfolgte, welche zur Folge hatten, dass während der Eröffnungszeremonie bis auf Amodef alle Anwesenden einschließlich Esiath zu Tode kamen und der monströse Narrenwächter auf der einen sowie zahlreiche kleine skurrile Wesen namens Schnuffel auf der anderen Seite geboren wurden. Während seit damals die Schnuffels überall in Thorinth angetroffen werden können, erscheint der Narrenwächter nur, wenn es im Turmlabyrinth Menschen zu bestrafen gilt.

Eines Tages dringt ein Mann gewaltsam in Thorinth ein. Er sucht seine Frau, Madalis Temroth, die von den Außenweltlern ob ihrer dubiosen Forschungen in das Turmlabyrinth verbannt wurde. Bevor ihn der Narrenwächter für seinen Frevel bestrafen kann, ergreift jedoch einer der kleinen Schnuffel Partei für den verletzten, bewusstlosen Eindringling.
Kaum dass der Mann genesen ist, macht er sich unter Führung eines Doktors auf, Thorinth zu erkunden, etwas über die seltsamen Lebensumstände zu erfahren und einige der skurrilen Wesen, die das Labyrinth beherbergt, kennenzulernen, um schließlich mit der Suche nach seiner Frau fortzufahren. Dabei begegnet er einem jungen Mädchen namens Elide, von dem er Einiges über die Sanodath erfährt, jene extremistischen Attentäter, über deren Motive weitgehend Unklarheit herrscht, die aber in einer Verbindung mit einer Frau zu stehen scheinen.
Doch nicht nur deshalb gerät der Fremde in das Visier einer Obrigkeit, die an ihm ein Exempel statuieren will.

Mit »Thorinth« hat das 1970 in Lyon geborene mediale Allround-Talent Nicolas Fructus eine Comic-Serie geschaffen, die sich konzeptionell wohltuend vom Einerlei aktueller Phantastik abhebt, angefangen bei dem originellen Schöpfungsmythos des Turmlabyrinths bis hin zu den Wesen, die das Bauwerk bevölkern.
Allerdings ist »Der Narr ohne Namen« nicht mehr als ein Einstiegsband, in dem sich das Potenzial der Serie lediglich andeutet. Zu viele Fragen bleiben unbeantwortet, zu viele Ideen im Stadium des Angedachten verhaftet, als dass ein insgesamt rundes und befriedigendes Album zu Stande kommt.
Zudem ist es für den Leser gerade zu Beginn angesichts des bizarren Schöpfungsmythos schwer, zu beurteilen, ob Fructus mit Thorinth nun eine eigenständige fiktive Welt entworfen hat, die für sich selbst steht, oder ob beziehungsweise inwieweit der Turm als Ganzes oder in Teilen eine Allegorie auf unsere reale Welt oder die Außenwelt Thorinths darstellt, ob und inwieweit den Geschehnissen innerhalb der Mauern eine metaphorische Bedeutung zukommt oder ob Bilder sowie Text »wörtlich« genommen werden sollten. Die Zweifel über das Wesen des Turms sind zwar einerseits anregend, verleihen der Geschichte aber andererseits eine verstörende Unernsthaftigkeit.
Nichtsdestotrotz ist Fructus’ Story spannend und abgedreht genug, um bei vielen Lesern die Neugier auf den Folgeband, »Die Sogromfischer«, zu wecken, der (leider erst) für Dezember 2009 angekündigt ist.

Das Artwork Nicolas Fructus’ ist alles in allem sehr dekorativ: im Seitenlayout eher klassisch, malerisch in der Kolorierung, lebt es in erster Linie von den interessanten Figuren, den bizarren bis witzigen Details, während die Hintergründe oftmals eher oberflächlich ausgearbeitet sind. Farblich dominieren Braun- und schmutzige Grüntöne, wobei grundsätzlich sämtliche Buntfarben ins Trübe changieren. Auf Grund fehlender signifikanter Hell-Dunkel- oder Farbe-an-sich-Kontraste wirkt ein nicht unbedeutender Teil der Bilder allerdings etwas breiig und unübersichtlich.

Zum Schluss noch eine kleine Anmerkung zur Druckqualität. Gegenüber den relativ kräftigen, klaren Farben, die uns in der Leseprobe des Comics auf der Homepage des Splitter-Verlags präsentiert werden, und in denen deutliche Farbkontraste erkennbar sind, wirken die Farben der Printversion deutlich trüber und dunkler. Welche Darstellung im Sinne des Künstlers ist und dem französischen Original eher gerecht wird, vermag ich an dieser Stelle allerdings nicht zu entscheiden.

Fazit: Einem originellen Schöpfungsmythos und einem dekorativen Artwork steht eine allegorisch angehauchte Geschichte gegenüber, die nicht jeden Leser mitnehmen wird. Als Einstieg in eine fünfbändige Alben-Reihe aber durchaus zu empfehlen.