Patrick Senécal: 7 Tage der Rache (Buch)

Patrick Senécal
7 Tage der Rache
(Les sept Jours des Talion)
Aus dem kanadischen Französisch übersetzt von Alexander Rösch
Titelillustration von Christina Otero
Festa, 2014, Taschenbuch, 380 Seiten, 13,95 EUR, IDBN 978-3-86552-300-6 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Was ist das absolut Schlimmste, was einer jungen, glücklichen Familie passieren kann? Arbeitslosigkeit, Krankheit, selbst wenn eines der Familienmitglieder letztlich stirbt, sind beileibe nicht das Schlimmste. Wenn ein Psychopath aber die unschuldige, zehnjährige Tochter des Paares entführt, brutal missbraucht und anschließend erdrosselt, dann zerbricht etwas in einem jeden Opfer, dann ist das Leben, der Sinn des Daseins und der Glaube an eine übergeordnete Macht dahin.

Bruno Hamel ist 38 Jahre alt, arbeitet als Chirurg im örtlichen Krankenhaus und einmal wöchentlich freiwillig in einem Frauenhaus, als es passiert. Jasmine kommt nicht von der Schule heim, kurz danach wird ihr geschändeter Leichnam gefunden, der Mörder von der kanadischen Polizei gefasst. Zynisch und ohne jede Reue lächelt der Kinderschänder in die Kameras der TV-Stationen wohlwissend, dass ihn nur fünfzehn Jahre Gefängnis erwarten, bevor er wieder frei ist.

Das kann, das will Bruno, für den in einem einzigen Moment sein ganzes Leben zusammengebrochen ist, nicht akzeptieren. Er fasst einen Entschluss. Alttestamentarische Selbstjustiz, Gleiches mit Gleichem vergelten, den Mörder leiden lassen, das ist die einzige Motivation, die ihn noch aufrecht hält.

Das Vorhaben gelingt. Mittels eines raffiniert eingefädelten Plans entführt er den Mann, den er nur als „Das Monster“ bezeichnet, in eine abgelegene Hütte an einem See, um diesen dort 7 Tage lang zu foltern, bevor er ihn töten wird. Seine Frau, ja selbst dem Inspektor Mercure, hat er seinen Racheplan mitgeteilt, jetzt macht er sich daran, den Täter spüren zu lassen, wie man sich als Opfer fühlt.

Während die Polizei versucht, Bruno vor sich selbst zu schützen und den innerlich wie toten Mann davon abzuhalten, einen kaltblütigen Mord zu begehen für den dieser mindestens ebenso lang hinter Gitter müsste wie der Schänder, zerschmettert Bruno Knie, peitscht sein Opfer blutig und lässt das Monster büßen…

In diesem atemberaubend spannenden Thriller geht es im Wesentlichen, neben dem unbestrittenen Unterhaltungswert des Textes, um die Frage: Ist Selbstjustiz erlaubt, bringt sie dem Leidenden letztlich wirklich Erleichterung und sorgt sie, bei einer allzu laschen Gesetzgebung was Gewaltverbrechen und deren Täter anbelangt, für ein wenig mehr Gerechtigkeit?

Es geht dabei aber auch um Opfer, die mit ihrer Hilflosigkeit, ihrer Trauer und ihrem Verlust allein gelassen werden, während sich die Ordnungsmacht allein auf den Täter konzentriert und diesen möglichst human in den Gesellschaft zu reintegrieren versucht.

Das sind, gerade für einen packenden Thriller, durchaus ungewöhnlich tiefsinnige Überlegungen, die der Autor hier in seinen Text hat einfließen lassen. Und Senécal macht dies wirklich geschickt. Ausgehend von dem Verbrechen stellt er uns zunächst die Eltern des getöteten Mädchens vor, berichtet uns von ihrer Trauer, ihrer nachvollziehbaren Unfähigkeit, den Verlust zu akzeptieren und ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Gerade die innerliche Taubheit, die Bruno nach der Schandtat überkommt, die Schwärze, die sich in seinem Inneren ausbreitet, sind hierbei sehr intensiv und überzeugend in den Text eingeflossen.

Es schließt sich dann ein Segment an, in dem Bruno seinen Plan entwickelt und in die Praxis umsetzt. Hier nutzt der Autor sehr stimmig die Profession Brunos, um dessen Vorhaben in die Tat umzusetzen. Im Krankenhaus besorgt er sich Hilfsmittel, lässt seine Folterinstrumente zusammenschweißen und bereitet minutiös planend alles vor.

Nach dem gelungenen Kidnapping stehen zwei Handlungsstränge im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zum einen geht es um die fast schon nüchtern und unterkühlt beschriebene Folterung des Monsters, die der Autor auch immer wieder dazu nutzt, uns den angegriffenen Geisteszustand seines Protagonisten aufzuzeigen; zum anderen rückt der ermittelnde Inspektor immer mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Intuitiv, mit viel Einfühlungsvermögen sucht er Bruno vor sich selbst zu bewahren, hinterfragt dabei aber auch seine Tätigkeit, einen Schuldigen vor seiner gerechten Strafe zu schützen und die Hilflosigkeit, die Trauer der Hinterbliebenen, zu lindern. Das sind interessante, intelligente Charakterstudien, die uns die Gestalten lebensecht nahe bringen, ihre Handlungen in ein glaubwürdiges Gerüst stellen und ihre Motivation nachvollziehbar machen.

So präsentiert sich der Roman letztlich als gelungene Mischung aus tiefschürfenden Fragen um Selbstjustiz, Rache, Leid und einer packenden Suche nach Tätern und Opfern; letztlich nach Gerechtigkeit.