Ben Winters: Der letzte Polizist (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 13. November 2013 10:30
Ben Winters
Der letzte Polizist
(The Last Policeman, 2012)
Deutsche Übersetzung von Peter Robert
Heyne, 2013, Taschenbuch, 350 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-3-453-53451-3 (auch als eBook erhältlich)
Von Gunther Barnewald
Das vorliegende Werk ist der erste SF-Roman des US-amerikanischen Autors Ben Winters, der in Deutschland erscheint.
Die Geschichte spielt in einer sehr nahen Zukunft, in der ein gewaltiger Asteroid entdeckt wurde, welcher in knapp einem halben Jahr auf die Erde prallen wird. Die Menschen wissen größtenteils, was auf sie zukommt und dass unsere Zivilisation damit erst einmal dem Untergang geweiht ist.
Jeder geht mit dieser Nachricht so um, wie er kann: Manche bringen sich um, andere veranstalten Orgien, andere wiederum arbeiten ihre „Löffelliste“ ab (ein Begriff, der in dem Film „Das Beste kommt zum Schluss“ verwendet wurde, in dem zwei Todgeweihte, gespielt von Jack Nicholson und Morgan Freeman, beschließen, all die Dinge zu tun, die sie schon immer machen wollten, bevor sie „den Löffel abgeben“), während wieder andere versuchen, an ihrem normalen Leben festzuhalten.
Einer der letzteren ist der Cop Henry „Hank“ Palace, dessen Traum es immer war, Detective der US-amerikanischen Polizei zu werden. Obwohl noch jung, erhält er seine Chance früher als erwartet durch den Ausfall vieler Kollegen, nachdem klar ist, dass der gewaltige Brocken aus dem All die Erde treffen wird.
Eines Tages wird Palace, den viele wegen seiner Größe von einem Meter neunzig nur „Stretch“ nennen, in ein ehemaliges McDonald’s-Restaurant gerufen, wo sich der Versicherungsmathematiker Peter Anthony Zell erhängt haben soll. Doch der Cop in Palace zweifelt an dieser Version, sogar als immer mehr Anzeichen für einen Suizid sprechen. Und so verbeißt sich der junge Mann, gegen alle Widerstände der letzten desillusionierten Kollegen und sogar der Familie des Toten, in diesen Fall, der scheinbar keiner ist und begreift zu spät, welch heißes Eisen er hier angefasst hat...
Der geschilderte Kriminalfall ist spannend und gut (wenn auch nicht überragend) konstruiert. Er gibt dem Buch einen durchgängigen Spannungsbogen. Die Protagonisten sind glaubhaft geschildert, vor allem die Identifikation mit dem sturen Cop dürfte den meisten Lesern leicht fallen.
Das größte Prunkstück des vorliegenden Romans ist jedoch die düstere und überaus gruselige Atmosphäre des bevorstehenden Weltuntergangs. Das Zerbersten der Zivilisation kommt dabei nicht sofort mit einem Knall, sondern die menschliche Kultur gerät wie ein riesiger Abhang langsam ins Rutschen und schmiert mehr und mehr ab. Und genau diesen Vorgang beschreibt der Autor in einfach Ehrfurcht gebietender Art und Weise. Diese erschreckende Atmosphäre ist das absolute Sahnestück von „Der letzte Polizist“.
Faszinierend, wie Winters diesen Hintergrund für seine Geschichte instrumentalisiert, wie er einen Menschen entwirft und beschreibt, der sich einfach in seine geliebte Arbeit wirft, um zu verdrängen, welches Schicksal auf ihn und seine Mitmenschen zurollt. Denn nur dieses Wegdrücken der Emotionen bei den Bürgern erhält dann noch einen Rest an Zivilisation aufrecht, ein schwankendes Kartenhaus, kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch. Und während manche Menschen aus altem Reflex noch immer um Macht, Geld und Grundbesitz kämpfen, haben andere den alten, ausgetretenen Pfaden den Rücken gekehrt, entweder sanft, oder so radikal wie ein Kollege von Palace, der sich suizidiert vor den Augen der Kollegen.
Somit ist das vorliegende Buch eines der wenigen Beispiele für eine „Prä-Doomsday-Literatur“, denn die meisten Werke spielen bekanntlich nach der großen Katastrophe. Mit offensichtlichem Genuss erwähnt der Autor eines der bekanntesten literarischen Vorbilder für dieses Genre, nämlich „Das letzte Ufer“, eine Geschichte, die kurz vor dem Untergang der letzten zivilisierten Basis in Australien spielt, bevor die große radioaktive Wolke, die ein Atomkrieg hinterlassen hat, auch den letzten bisher verschonten Kontinent erreicht (ein anderes wäre zum Beispiel „Luzifers Hammer“ von Larry Niven und Jerry Pournelle).
Und im Gegensatz zu Blockbustern wie „Armaggedon“ und „Deep Impact“ wird es diesmal keine Rettung geben. Kein Bruce Willis wird kommen und die Menschheit retten, was schon fast mal wieder wohltuend ist, angesichts dieses öden Klischees.
Gerade deshalb ist „Der letzte Polizist“ so ein außergewöhnliches Werk, welches abgegriffene Wendungen vermeidet und tatsächlich ausleuchtet wie es sein könnte, wenn all unsere Gewohnheiten und liebgewordenen Dinge um uns herum aufhören zu existieren, und zwar nicht durch einen blödsinnigen Zombie-Angriff, sondern durch ein real mögliches Geschehnis, welches nicht ausgeschlossen werden kann. Genau dies macht den Bedrohungscharakter der vorliegenden Geschichte aus, und wir können alle froh sein, wenn das hier geschilderte Großschadensereignis nie eintritt. Umso beruhigender, wenn man dieses Angst auslösende Buch wieder weglegen kann.
Aber genau diese emotionalisierende Wirkung ist die Stärke des Autors, der zwar keinen Meilenstein des Genres verfasst hat, aber ein überaus interessantes und unterhaltsames Werk, bei dem man sich wirklich (im doppelten Wortsinn) „mitgenommen“ fühlen kann.